Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel ≪digitales Hörgerät≫. Leistungspflicht bis zur Höhe des einschlägigen Festbetrages. Übernahme der übersteigenden Kosten nur bei Systemversagen. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungen zur Festbetragsfestsetzung

 

Orientierungssatz

1. Eine Krankenkasse erfüllt ihre Leistungspflicht aus § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 mit der Gewährung des einschlägigen Festbetrages. Eine Übernahme der den Festbetrag übersteigenden Kosten eines Hilfsmittels ist nur dann möglich, wenn ein Systemversagen vorliegt.

2. Die gesetzlichen Ermächtigungen zur Festsetzung der Festbeträge sind verfassungsgemäß (vgl BVerfG vom 17.12.2002 - 1 BvL 28/95 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung der den einschlägigen Festbetrag übersteigenden Kosten für ein (digitales) Hörgerät.

Der 1997 geborene Kläger leidet an einer progredienten Innenohrschwerhörigkeit beidseits. Er wurde deshalb im August 2000 (zuletzt) mit einem mehrkanaligen Hörgerät Oticon digi Focus II Power beidseits versorgt.

Am 6. August 2003 stellte der Arzt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Hals-Nasen-Ohren Heilkunde Dr. E dem Kläger eine Verordnung über eine Hörhilfe beidseits wegen Verschlechterung des Hörvermögens (Progredienz) aus. Beim Kläger liege eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits vor. In einer weiteren Bescheinigung vom 11. Dezember 2003 bestätigte Dr. B, dass eine digitale Versorgung erforderlich sei (Bl. 1/2 Verwaltungsakte - VA -).

Der Kläger ließ sodann bei der Firma S Hörgeräte verschiedene Geräte testen. Mit dem Gerät Phonak Aero 311 Digital erreichte er nach der Mitteilung der Firma S vom 29. Dezember 2003 im Rahmen der Hörgeräteanpassung ein Hörverständnis von 100 % beidseits, bei dem Gerät Siemens Prisma P 2 Digital habe das Hörverständnis bei 80 % gelegen und mit dem Hörgerät Phonak Novoforte E4 sei ein Hörverständnis von 75 % beidseits erreicht worden und beim bisherigen Altgerät von 50 %. Ohne Hörgerät habe das Hörverständnis des Klägers bei 20 % gelegen.

Am 5. Januar 2004 beantragte der Kläger (vertreten durch seine Eltern) unter Vorlage der ohrenärztlichen Verordnung von Dr. B vom 6. August 2003, des Anpassungsberichts der Firma S und weiterer medizinischer Unterlagen sowie eines Kostenvoranschlags der Firma S vom 29. Dezember 2003 die Übernahme der ihm entstehenden Kosten. Nach dem Kostenvoranschlag der Firma S ergaben sich für das vom Kläger gewählte Modell Phonak Aero 311 ein Preis von jeweils 1.567,74 €. Der Anteil der Krankenkassen im Rahmen der Festbetragsregelung belief sich damit für dieses Gerät auf jeweils 843,63 €, sodass eine Zuzahlung von jeweils 724,11 € verblieb. Gegenüber dem festgesetzten Festbetrag ergab sich deshalb eine Zuzahlung des Klägers in Höhe von insgesamt 928,22 € nach Abzug eines "Kinderrabatts" von 520 €.

In der daraufhin von der Beklagten eingeholten sozialmedizinischen Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenkassen Baden-Württemberg (MDK) vom 11. März 2004 führte Dr. G aus, auf Grund der vorliegenden Unterlagen sei davon auszugehen, dass beim Kläger ein beidseitiger Hörverlust durch Schallempfindlichkeitsstörung in hochgradiger Ausprägung vorliege. Die letzte Hörgeräteversorgung sei im August 2000 durchgeführt worden. Eine Neuversorgung sei gerechtfertigt, da zwischenzeitlich eine gravierende Hörverschlechterung eingetreten sei. Auf Grund der audiologischen Daten könne die Hörhilfenversorgung im Rahmen des für die Beklagte gültigen Kinderhörhilfenvertrages durchgeführt werden, da nach dem vorliegenden Tonaudiogramm eine einkanalige Hörhilfenversorgung ausreichend und zweckmäßig sei.

Mit Bescheid vom 30. März 2004 lehnte die Beklagte daraufhin die Erstattung der entstandenen Mehrkosten ab. Für die vom Kläger benötigten Hilfsmittel sei ein Festbetrag festgesetzt worden. Es bestehe kein Anspruch auf die jeweils denkbar optimale Versorgung, sondern nur auf eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung. Wähle ein Versicherter ein aufwändigeres Hilfsmittel als medizinisch notwendig bzw. beauftrage er einen Leistungserbringer mit der Versorgung, der nicht bereit sei, zu den Festbeträgen eine Versorgung vorzunehmen, so habe er hierfür die entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen. Über die Höhe der zu leistenden Eigenbeteiligung hätten die Leistungserbringer bereits bei der Auswahl des Hilfsmittels zu informieren. Die Krankenkasse habe mit der Übernahme der Festbeträge den Leistungsanspruch des Versicherten erfüllt, auch wenn der Versicherte sich für ein Hilfsmittel entschieden habe, dessen Preis oberhalb des Festbetrages liege. Auch der zur Beratung hinzugezogene MDK könne eine weitergehende Kostenübernahme nicht empfeh...

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