Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. anderes Aufenthaltsrecht. Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses bei abgeleitetem Aufenthaltsrecht als sorgerechtsausübender Elternteil von Kindern in Schulausbildung

 

Orientierungssatz

Art 10 EUV 492/2011 begründet kein anderes Aufenthaltsrecht, das der Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 aF entgegen stehen würde.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 9. September 2016 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren von dem Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli bis zum 30. November 2015.

Die im Jahre L. geborene Klägerin zu 1 und ihr im Jahre M. geborener Sohn, der Kläger zu 2, sind N. Staatsangehörige. Sie sind im April 2014 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der frühere Ehemann der Klägerin und Vater des Klägers lebt in O. und hat zu den Klägern keinen Kontakt mehr. Die Klägerin war in der Zeit vom 1. August bis zum 31. Dezember 2014 bei der Fa. P. als Helferin beschäftigt und erhielt hierfür bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden ein Bruttogehalt von 500 € (netto 399,12 €). Der Kläger besuchte seit dem 13. November 2014 das Gymnasium Q. in R., wo die Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum eine Mietwohnung am S. bewohnten, für die eine Bruttowarmmiete von 515 € zu zahlen war.

Die Kläger beantragten bei dem Beklagten erstmals im Oktober 2014 unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte ihnen diese seit dem 1. Oktober 2014, zuletzt für die Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 2015 (Bescheid vom 30. März 2015 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. April 2015).

Den Antrag der Kläger vom 23. Juni 2015 auf Weiterbewilligung der SGB II-Leistungen für die Zeit ab dem 1. Juli 2015 lehnte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. Juni 2015 ab, da diese nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (i. d. F. des Gesetzes vom 13. Mai 2011, BGBl. I 850, 2094; a.F.) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Die Klägerin halte sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland auf. Der aus ihrer Erwerbstätigkeit folgende Arbeitnehmerstatus (§ 2 Abs. 3 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürger - FreizügG/EU -) laufe zum 30. Juni 2015 aus.

Mit Schreiben vom 20. August 2015 baten die Kläger um eine Überprüfung des Bescheides vom 25. Juni 2015 und beantragten abermals die Weiterbewilligung unterhaltssichernder Leistungen. Zur Begründung führten sie aus, es sei der Klägerin trotz entsprechender Bemühungen nicht gelungen, eine neue Arbeit zu finden. Der Beklagte lehnte die Überprüfung mit Bescheid vom 24. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2015 ab. Soweit die Kläger sich anknüpfend an den Schulbesuch des Klägers auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union) - VO (EU) 492/2011 - beriefen, stehe dies dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. nicht entgegen. Es laufe Sinn und Zweck dieser Regelung und des FreizügG/EU zuwider, wenn nach dem Wegfall eines anspruchsbegründenden Lebenssachverhalts (Arbeitnehmerstatus der Klägerin) ein anderer Lebenssachverhalt (Schulbesuch des Klägers) anspruchsbegründend sein solle, der für sich allein genommen bei Einreise in das Bundesgebiet keinen Anspruch begründet hätte.

Die Kläger haben am 11. September 2015 vor dem Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben und hiermit Leistungsansprüche (ausschließlich) für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2015 verfolgt. Zur Begründung haben sie sich auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 berufen. Die Klägerin sei zumindest bis zum 31. Dezember 2014 Arbeitnehmerin gewesen. Der Kläger sei im November 2014 eingeschult worden. Die Klägerin übe alleine die tatsächliche Sorge für ihn aus. Damit seien die Voraussetzungen nach Art. 10 der genannten Verordnung erfüllt. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. greife somit nicht.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zur Begründung hat er auf die streitgegenständlichen Bescheide verwiesen und ergänzt ausgeführt, dass die Kläger nicht im Besitz einer Daueraufenthaltserlaubnis seien.

Im Rahmen eines von den Klägern angestrengten Eilverfahrens hat das SG den Beklagten mit Beschluss vom 22. September 2015 (S 28 AS 1540/15 ER) verpflichtet, den Klägern ab dem 1. September 2015 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2015, Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Umsetzungsbescheid vom 23. September 2015). Der erkennende Senat hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 16. Nov...

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