Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mehrbedarf eines schwerbehinderten Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft. Sozialgeldanspruch. analoge Anwendung von § 30 Abs 1 Nr 2 SGB 12. Einkommensberücksichtigung. Erwerbsunfähigkeitsrente. kein Freibetrag. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Nichterwerbsfähige Schwerbehinderte, denen das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist und die mit erwerbsfähigen Angehörigen eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erhalten auch für die Zeit vom 1.1.2005 bis zum 30.7.2006 einen Mehrbedarfszuschlag iHv 17% der nach § 20 SGB 2 für sie maßgeblichen Regelleistung. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 30 Abs 1 Nr 2 SGB 12.

 

Orientierungssatz

1. Ein Hilfebedürftiger, der eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit bezieht, erfüllt wegen dieser vorübergehenden Erwerbsminderung die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Sozialgeld gem § 28 Abs 1 S 1 SGB 2 iVm § 8 Abs 1 SGB 2.

2. Gegen die Anrechenbarkeit einer (befristeten) Erwerbsunfähigkeitsrente als Einkommen gem § 11 Abs 1 SGB 2 bestehen keine rechtlichen Bedenken.

3. Die Anrechnungsregelungen in § 11 SGB 2 iVm § 1 Abs 1 AlgIIV begegnen auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl BSG vom 16.5.2007 - B 11b AS 27/06 R und vom 5.9.2007 - B 11b AS 51/06 R).

4. Die Absetzung eines Freibetrags gem § 30 SGB 2 kommt nur für erwerbsfähige Hilfebedürftige in Betracht, die auch tatsächlich erwerbstätig sind; eine Absetzung von der Erwerbsunfähigkeitsrente erfolgt mithin nicht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.12.2009; Aktenzeichen B 14 AS 42/08 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23.11.2005 sowie der Bescheid der Agentur für Arbeit Hannover vom 11.11.2004 in Gestalt des Änderungsbescheides der Beklagten vom 08.02.2005, des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2005 und des Änderungsbescheides vom 19.04.2005 abgeändert.

Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern für die Zeit vom 01.01. bis zum 30.06.2005 unter Abzug bereits erbrachter Leistungen Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende i.H.v. insgesamt 900,-- € monatlich zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Kläger beider Instanzen zu tragen. Darüber hinaus findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren, die Beklagte für den Bewilligungszeitraum vom 01.01. bis zum 30.06.2005 zur Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende zu verpflichten.

Die am 01.01.1953 geborene Klägerin zu 1) und der am 17.08.1956 geborene Kläger zu 2) beziehen Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende von der Beklagten. So bewilligte ihnen die Agentur für Arbeit E. mit Bescheid vom 11.11.2004 vom 01.01. bis zum 30.06.2005 derartige Leistungen in Höhe von 625,70 Euro monatlich (Regelleistung für die Klägerin zu 1): 311,-- €; befristeter Zuschlag nach dem Bezug von Alg für die Klägerin zu 1): 160,-- €; Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige für den Kläger zu 2): 311,-- €; Kosten für Unterkunft und Heizung: 681,47 € abzüglich Einkommen des Klägers zu 2) aus einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 837,77 €. Der Kläger zu 2) bezog diese bis Oktober 2007 befristete Rente seit 1998 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte i.H.v. 867,77 € netto monatlich. Seit dem 16.08.2001 hat das Versorgungsamt E. bei ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt und ihm das Merkzeichen “G„ zuerkannt.

Die Kläger legten mit Schreiben vom 23.11.2004 Widerspruch ein. Sie machten geltend, dass die Erwerbsunfähigkeitsrente als Einkommen anrechnungsfrei sei. Darüber hinaus sei auch für den Kläger zu 2) ein befristeter Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld zu berücksichtigen. Ferner seien für VersicheR.n Beiträge abzusetzen und Freibeträge anzuerkennen. Mit Änderungsbescheid vom 08.02.2005 bewilligte daraufhin die Beklagte Grundsicherungsleistungen in Höhe von 647,13 € monatlich. Bei der Berechnung hatte sie nunmehr den vollständigen Zahlbetrag der vom Kläger zu 2) bezogenen Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 867,77 € zu Grunde gelegt und davon ohne nähere Angaben im Rahmen einer “Einkommensbereinigung„ einen Betrag in Höhe von 51,43 € abgesetzt. Im Textteil des Bescheids heißt es, dass folgende ÄndeR.n eingetreten seien: “…2) Absetzung des Beitrags für die Kfz-Haftpflichtversicherung vom Einkommen von Herrn R.„. Daraufhin machten die Kläger weiterhin geltend, dass an Kosten für Unterkunft und Heizung tatsächlich 690,-- € zu zahlen wären, wohingegen die Beklagte nur 681,47 € berücksichtigt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger “teilweise als unbegründet„ zurück. Die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers zu 2) gehöre nicht zu den privilegierten Einkünften und müsse daher angerechnet werden. Von dieser Rente sei eine monatliche Versicherungspauschale in Höhe von 30,-- € und darüber hinaus die vorgeschriebene Kfz-Haftpflic...

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