Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. beigeordneter Rechtsanwalt. Aufhebung der Beiordnung. nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses. eigene Eingaben des Mandanten an das Gericht trotz mehrfacher Unterlassungsaufforderung durch den Anwalt. Forderung nach Einreichung der von der Partei entworfenen Schriftsätze. kein Anspruch auf Beiordnung eines anderen Anwalts

 

Orientierungssatz

1. Die mehrfache Missachtung der anwaltlichen Aufforderung, eigene Eingaben bei Gericht zu unterlassen, kann zu einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses führen, wenn der Anwalt aufgrund dieses Verhaltens außerstande ist, die ihm im Rahmen des Mandatsverhältnisses obliegenden Pflichten zur sachgerechten Vertretung der Interessen des Mandanten zu genügen (vgl OLG Hamm vom 15.12.2017 - II-2 WF 204/17 = MDR 2018, 895).

2. Die Forderung der Partei, allein die von ihr entworfenen Schriftsätze einzureichen, ist ein wichtiger Grund, der eine Aufhebung der Beiordnung rechtfertigen würde (vgl LG Stade vom 26.5.2021 - 4 O 73/21 = juris RdNr 5).

3. Es besteht kein Anspruch auf die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts, wenn das Vertrauensverhältnis zu dem beigeordneten Anwalt durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten des Mandanten zerstört worden ist und dadurch die Entpflichtung des beigeordneten Anwalts nach § 48 Abs 2 BRAO verursacht wurde.

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 1. November 2022 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat zutreffend die Beiordnung des Rechtsanwaltes F. auf dessen Antrag aufgehoben.

Nach § 48 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) kann der gemäß § 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 73a Abs. 1 S. 1 SGG dem Beteiligten im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt beantragen, die Beiordnung aufzuheben, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen.

Hierfür sind konkrete Umstände vorzutragen und gegebenenfalls nachzuweisen, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, aufgrund dessen zu besorgen ist, dass die Rechtsverfolgung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (vgl. Oberlandesgericht [OLG] Hamm, Beschluss vom 4. Oktober 2022 - 11 WF 159/22 - juris Rn. 16).

Bei der Entscheidung über die Entpflichtung sind neben dem Interesse des bedürftigen Beteiligten und dem Interesse des beigeordneten Rechtsanwalts auch das öffentliche Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege und das Interesse des Antragstellers an einer zügigen Erledigung des Verfahrens zu beachten. Sinn und Zweck des § 48 Abs. 2 BRAO ist, bei einmal erfolgter Beiordnung die anwaltliche Vertretung auch weiterhin sicherzustellen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 17). Die Beschränkung der Entpflichtungsmöglichkeit auf wichtige Gründe soll verhindern, dass mit der Beendigung der Vertretung verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, insbesondere eine Verfahrensverzögerung etwa durch Niederlegung des Mandats. Die Entscheidung über die Entpflichtung ist daher im jeweiligen Einzelfall unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zu treffen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 17).

Wichtige Gründe im Sinne von § 48 Abs. 2 BRAO sind in der Regel das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 45 - 47 BRAO sowie schwere Krankheit des Anwalts und die unbehebbare Störung des Vertrauensverhältnisses (Nöker in Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 48 Rn. 19a). Eine solche unbehebbare Störung liegt vor, wenn die Zusammenarbeit im Rahmen des Mandatsverhältnisses nicht mehr gewährleistet ist, weil das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant nachhaltig und tiefgreifend gestört ist (Nöker a.a.O.). Allerdings ist nicht jede Differenz mit dem Mandanten ausreichend. Vielmehr muss der Anwalt in gewissem Umfang sogar unsachliche Kritik des Mandanten hinnehmen (Vorwerk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 48 Nr. 9).

Die mehrfache Missachtung der anwaltlichen Aufforderung, eigene Eingaben bei Gericht zu unterlassen, kann zu einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses führen, wenn der Anwalt aufgrund dieses Verhaltens außerstande ist, die ihm im Rahmen des Mandatsverhältnisses obliegenden Pflichten zur sachgerechten Vertretung der Interessen des Mandanten zu genügen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Dezember 2017 - II-2 WF 204/17 - juris Rn. 12). Ebenso ist die Forderung der Partei, allein die von ihr entworfenen Schriftsätze einzureichen, ein wichtiger Grund, der eine Aufhebung der Beiordnung rechtfertigen würde (vgl. Landgericht [LG] Stade, Beschluss vom 26. Mai 2021 - 4 O 73/21 - juris Rn. 5).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist das SG Oldenburg zutreffend vom Vorliegen eines wichtigen Grundes gem. § 48 Abs. 2 BRAO ausgegangen.

Zunächst hat der...

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