Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenhilfe. Einkommensanrechnung. Freibetrag. Unterhaltsverpflichtung. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Die gesetzliche Regelung des § 138 Abs 1 S 3 AFG idF vom 21.12.1993 ist nicht verfassungswidrig. Insbesondere ergibt sich aus der ausschließlichen Berücksichtigung von rechtlich geschuldetem Unterhalt kein Verstoß gegen Art 3 und Art 6 GG.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeiträume vom 14. Januar 1994 bis 13. April 1994 und 11. Juli 1994 bis zum 31. Mai 1995.

Die 1961 geborene Klägerin ist in zweiter Ehe verheiratet. Sie hat zwei Kinder aus erster Ehe (R, geb. 1980, und A, geb. 1984) und mit ihrem zweiten Ehemann einen gemeinsamen Sohn S (geb. Nov. 1988). Alle drei Kinder leben im Haushalt der Klägerin und ihres zweiten Ehemannes. Unterhaltszahlungen für die zwei älteren Kinder bekommt die Klägerin von ihrem geschiedenen Ehemann nicht. Dieser ist nach ihren Angaben Sozialhilfeempfänger. Ausweislich einer von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung wurden für die Jahre 1990 bis 1992 vom Jugendamt des Landkreises U Unterhaltsvorauszahlungen in Höhe von 115,- DM monatlich pro Kind geleistet.

Von November 1979 bis zum 30. November 1990 war die Klägerin bei der Firma HO N GmbH in T tätig. Sie bezog nach der diesbezüglichen Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 01. bis 30. November 1990 einen wöchentlichen Bruttodurchschnittslohn von 267,54 DM. Ab 01. Dezember 1990 bezog die Klägerin mit einer Unterbrechung wegen Arbeitsaufnahme Alg, Unterhaltsgeld (Uhg), Krankengeld und dann bis zur Erschöpfung des Anspruches am 13. Januar 1994 wiederum Alg (zuletzt nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 570,- DM, Leistungsgruppe D, erhöhter Leistungssatz in Höhe von wöchentlich 212,40 DM).

Am 20. Januar 1994 beantragte die Klägerin Anschluß-Alhi.

Der Ehemann der Klägerin verdiente nach der dabei vorgelegten Verdienstbescheinigung seines Arbeitgebers im Oktober 1993 2.940,- DM brutto, im November 3.561,25 DM und im Dezember 3.220,- DM brutto.

Mit Bescheid vom 10. März 1994 lehnte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung von Alhi ab. Der im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzurechnende Betrag übersteige den Leistungssatz von 180,60 DM.

Hiergegen legte die Klägerin am 23. März 1994 Widerspruch ein. Zu Unrecht sei bei Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens des Ehemannes nur für ein Kind eine Unterhaltsverpflichtung in Ansatz gebracht worden, auch sei fälschlich nur ein Betrag von 310,- DM statt 370,- DM in Abzug gebracht worden. Ihr jetziger Ehemann versorge alle drei Kinder voll.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1994 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Anspruch auf Alhi habe nur, wer bedürftig sei. Bei der Bedürftigkeitsprüfung seien neben dem eigenen Einkommen des Arbeitslosen auch Unterhaltsansprüche zu berücksichtigen. Zur Anrechnung komme das Einkommen des nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten, soweit es den Freibetrag übersteige. Im vorliegenden Fall habe der Ehegatte der Klägerin für die Monate Oktober bis Dezember 1993 ein durchschnittliches Bruttoeinkommen in Höhe von 3.240,42 DM monatlich (747,97 DM wöchentlich) nachgewiesen. Abzüglich der hypothetischen Arbeitslosenhilfe (301,80 DM wöchentlich), Steuern, Versicherungen und Werbungskosten (186,84 DM wöchentlich) und der Unterhaltsverpflichtung für Sebastian (310,- DM monatlich bzw. 71,54 DM wöchentlich) ergäbe sich ein Anrechnungsbetrag in Höhe von 187,61 DM. Demgegenüber könne die Klägerin Alhi-Leistung nur in Höhe von 180,60 DM wöchentlich verlangen. Der Anrechnungsbetrag übersteige mithin den Leistungsbetrag, so daß der Klägerin ein Alhi-Anspruch nicht zustehe.

Gegen den am 13. Mai 1994 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 10. Juni 1994 Klage vor dem Sozialgericht Stralsund erhoben. Von ihrem geschiedenen Ehemann würden Unterhaltsleistungen weder an sie noch an die zwei aus dieser Ehe stammenden Kinder erbracht. Da sie über kein eigenes Einkommen verfüge, trage ihr jetziger Ehemann tatsächlich die Unterhaltslast für alle drei Kinder. Soweit er sie gegenüber den beiden Kindern aus erster Ehe erbringe, seien sie Ausdruck einer sittlich moralischen Verpflichtung, die einer rechtlichen Verpflichtung im Sinne des § 138 Abs. 1 Satz 3 AFG gleichzustellen sei. Die Regelung des § 138 AFG, wolle man sie dahingehend verstehen, daß sich der Freibetrag des Ehegatten nur um die Unterhaltsleistungen erhöht, die dieser aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung Dritten gegenüber erbringt, sei verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 17. November 1992 ausgeführt, daß bei der Bedürftigkeitsprüfung Einkommen und Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, ebenso wie Einkommen und Vermögen eines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten Berücksichtigung zu finden habe, wenn zwischen den Partnern so enge Bindungen bestehen, daß von ihnen ein gegenseitiges E...

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