Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Abfindungszahlung. Wegfall bzw Unterbrechung der Hilfebedürftigkeit durch Arbeitsentgeltzahlung für 2 Monate in demselben Zuflussmonat. Rückforderung von Arbeitslosengeld II wegen einmaligen Einkommens des Partners einer Bedarfsgemeinschaft. Bestimmtheitsgebot von Verwaltungsakten. Anhörung im Verwaltungsverfahren. Abgrenzung nichtiger von bloß anfechtbaren Verwaltgsakten. Verhältnis von Anfechtungs- zur Verpflichtungsklage

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Berechnung der Grundsicherung für Arbeitslose sind nach Antragstellung erzielte – auch einmalige – Einnahmen als Einkommen, nicht aber als Vermögen zu bewerten.

2. Bei Berechnung der Grundsicherung für Arbeitslose sind einmalige Einnahmen bis zu ihrem Verbrauch auf den Monat des Zuflusses und die folgenden Monate aufzuteilen, und zwar unabhängig davon, ob in diesem Zeitraum der laufenden Bewilligungszeitraum abläuft oder ein neuer Antrag gestellt wird.

3. Wenn das Klage- oder Berufungsziel durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheids erreicht werden kann, besteht für eine Verpflichtungsklage auf Neubescheidung kein Raum und ist ein solcher Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

4. Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil eine unzuständige Verwaltungsbehörde entschieden hat.

5. Aufgrund des Bestimmtheitsgebots für Verwaltungsakte muss sich den Verfügungen eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids in Bezug auf eine Bedarfsgemeinschaft im Sinn des Rechts der Grundsicherung für Arbeitslose entnehmen lassen, welcher Adressat bzw. welche Adressaten betroffen sind.

6. Vor Erlass eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids muss der Betroffene Kenntnis und Gelegenheit zur Stellungnahme auch hinsichtlich der wesentlichen Umstände, die zur Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtigen, erhalten.

7. Die Jahresfrist für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts beginnt, sobald die Behörde alle Tatsachen kennt, aus denen sich ergibt, dass der begünstigende Verwaltungsakt rechtswidrig ist, und die für die Rücknahme für die Vergangenheit von Bedeutung sind.

8. Die Nichtangabe von Einkommen eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft ist grob fahrlässig, wenn sich dem Leistungsempfänger die Tatsache der Einkommenserzielung geradezu aufdrängen musste.

 

Orientierungssatz

Eine nach Antragstellung zugeflossene Entlassungsentschädigung ist auch dann als Einkommen gem § 11 Abs 1 SGB 2 iVm § 2 Abs 3 AlgIIV aF und nicht als Vermögen gem § 12 SGB 2 zu berücksichtigen, wenn die Hilfebedürftigkeit ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme hier für den Zuflussmonat durch die gleichzeitige Auszahlung des Arbeitsentgelts für zwei Monate aus derselben Beschäftigung unterbrochen ist.

 

Normenkette

SGB II § 9 Abs. 1, 2 Sätze 1, 3, Abs. 3 Nr. 3b, § 11 Abs. 2 S. 2 Fassung: 2005-12-22, § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 3b, § 30 S. 1; Alg II-V § 2 Abs. 3; SGB X § 24 Abs. 1, § 33 Abs. 1, § 40 Abs. 1, § 45 Abs. 2 S. 2 Nrn. 2-3, Abs. 4 S. 1, § 48 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 2-3; SGG § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4; GG Art. 19 Abs. 4 S. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.09.2013; Aktenzeichen B 4 AS 89/12 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Rostock vom 8. Juni 2010 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen, soweit sie sich nicht durch Berufungsrücknahme des Beklagten erledigt hat.

Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten erster Instanz zur Hälfte zu erstatten. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 31. März 2007 und die Erstattung überzahlter Leistungen streitig.

Die 1958 geborene Klägerin beantragte erstmals am 15. Oktober 2004 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beim Beklagten. Sie lebte seit dem 1. Oktober 2004 mit Herrn S., den die Klägerin in ihrem Antrag als ihren Lebensgefährten bezeichnete, in einer 80 m2 großen Mietwohnung, für die eine Nettokaltmiete von 340,00 € sowie ein Betriebskostenvorschuss i. H. v. 20,00 € zu zahlen waren. Darüber hinaus waren monatliche Abschläge für den Gasversorger fällig, die zunächst 150,00 €, ab Januar 2006 170,00 € betrugen. Im September 2006 wurde zudem eine Nachzahlung auf die Betriebskosten i. H. v. 23,21 € fällig.

Der Lebensgefährte der Klägerin stand in einem Beschäftigungsverhältnis, aus dem er ein monatlich schwankendes Einkommen bezog, welches jeweils im Folgemonat fällig war. Zudem zahlte er monatlichen Kindesunterhalt an ein außerhalb des Haushalts lebendes Kind i. H. v. monatlich 267,41 € bzw. ab (spätestens) Juni 2006 137,41 €, wobei 136,51 € in einer Unterhaltsurkunde tituliert waren. Die Klägerin bezog Erwerbseinkommen aus einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis.

An Vermögenswerten wurden im Erstantrag neben einem Guthaben auf...

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