Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Haftungsprivilegierung. Feststellungsberechtigung hinsichtlich des Vorliegens eines Arbeitsunfalls. gesetzliche Prozessstandschaft des Kfz-Haftpflichtversicherers eines Versicherten. analoge Anwendung von § 109 S 1 SGB 7. von Dritten geltend gemachte Ansprüche nach § 116 SGB 10

 

Orientierungssatz

1. Die Kfz-Haftpflichtversicherung eines Versicherten hat nach § 109 S 1 SGB 7 einen eigenen Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls. Sie ist im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft berechtigt, im eigenen Namen eine Rechtsposition feststellen zu lassen, die dem Versicherten zusteht und damit gleichzeitig verfahrensrechtlich befugt, eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung, die gegenüber dem potentiell Versicherten ergangen ist, an dessen Stelle anzugreifen und überprüfen zu lassen (Anschluss an BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 27/10 R = BSGE 109, 285 = SozR 4-2700 § 109 Nr 1).

2. In analoger Anwendung von § 109 S 1 SGB 7 werden auch die Fälle erfasst, in denen nicht die geschädigte Person, sondern Dritte auf sie übergegangene Ansprüche der geschädigten Person geltend machen.

3. Ein gegenüber dem Geschädigten bestandskräftig gewordener Ablehnungsbescheid hindert eine durch die Kfz-Haftpflichtversicherung betriebene Feststellung nicht (Anschluss an BSG vom 30.1.2020 - B 2 U 19/18 R = BSGE 130, 25 = SozR 4-1300 § 105 Nr 8).

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Kfz-Haftpflichtversicherung des Beigeladenen zu 2) die Feststellung, dass die Beigeladene zu 1) am 6. Juni 2009 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die am … 1990 geborene Beigeladene zu 1) erlitt am 6. Juni 2009 als Insassin eines Kleinbusses einen schweren Verkehrsunfall. Zum Zeitpunkt des Unfalls war sie als Werberin für die Firma H. GmbH (im Folgenden: H.) tätig und befand sich mit weiteren Werbern auf der Fahrt zu ihrem ersten Einsatzort an dem Tag. Im Durchgangsarztbericht vom gleichen Tag wurden unter anderem ein Gesichtsschädeltrauma mit Frakturen aller Orbitawände rechts, eine Jochbeinfraktur rechts, eine Kieferhöhlenfraktur an der rechten Seite, ein Abdominaltrauma, eine Leberlazeration links, eine Milzparenchymläsion sowie eine Femurschaftfraktur links diagnostiziert.

Die Firma H. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 17. August 2009 mit, dass die Beigeladene zu 1) als freie Handelsvertreterin und nicht als Arbeitnehmerin tätig gewesen sei. Es liege daher kein Arbeitsvertrag vor. Es erfolgten Mitteilungen der Beklagten an die Beigeladene zu 4) und das Klinikum der Universität R., dass sie nicht zuständig sei. Ein rechtsmittelfähiger Bescheid über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles gegenüber der Beigeladenen zu 1) wurde zunächst nicht erlassen.

Die Beigeladene zu 4) trug die Behandlungskosten für die Beigeladene zu 1) und machte Ansprüche aus übergegangenem Recht nach § 116 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen den Schädiger geltend. Im zivilgerichtlichen Verfahren der Beigeladenen zu 4) gegen die Beigeladenen zu 2) und 3) berief sich der Beigeladene zu 2) auf die Haftungsprivilegierung nach § 105 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Das Landgericht Ingolstadt setzte das Verfahren (Az: S 31 O 2011/12) daraufhin mit Beschluss vom 24. September 2013 bis zur Entscheidung der Beklagten aus, ob die Beigeladene zu 1) einen Arbeits- oder Wegeunfall erlitten habe.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2013 beantragte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Unfall der Beigeladenen zu 1) als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Beigeladene zu 1) sei zum Unfallzeitpunkt für die Firma H. als Werberin tätig gewesen und habe sich gemeinsam mit anderen auf einer Betriebsfahrt befunden. Die Klägerin habe sich gegenüber der Beigeladenen zu 4) darauf berufen, dass der Fahrer des Kleinbusses haftungsprivilegiert im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gewesen sei.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Dezember 2014 die Erbringung von Leistungen gegenüber der Beigeladenen zu 1) ab. Die Beigeladene zu 1) habe sich am 6. Juni 2009 bei ihrer selbstständigen Tätigkeit als freie Handelsvertreterin verletzt. Die Möglichkeit, sich freiwillig bei der Beklagten zu versichern, habe sie nicht genutzt. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu ihrem Auftraggeber habe nicht vorgelegen. Die Beigeladene zu 1) legte gegen den Bescheid keinen Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 15. Januar 2015 teilten die Bevollmächtigten der Klägerin mit, dass sie das Verfahren nicht mit Vollmacht der Beigeladenen zu 1), sondern für die Klägerin als Krafthaftpflichtversicherer des Beigeladenen zu 2) eingeleitet hätten. Gleichzeitig legten sie gegen den der Klägerin am 20. März 2015 bekannt gewordenen Bescheid vom 15. Dezember 2014 mit Schreiben vom 27. März 2015 vorsorglich Widerspruch ein und beantragten gleichzeitig, das Verwaltungsverfahren zu wiede...

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