Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für Alleinerziehende. Unterstützungsleistung des anderen Elternteils. Einkommensberücksichtigung. Kindergeld. Unterhaltsleistungen. geldwerte Sachleistungen

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Mehrbedarf für Alleinerziehende kommt einem hilfebedürftigen Vater nicht zu, wenn er bei der Pflege und Erziehung des Kindes durch die - getrennt lebende - Mutter im Umfang von einem Drittel der Zeit unterstützt wird.

 

Orientierungssatz

1. Die verfassungsrechtlich unbedenkliche Regelung des § 11 Abs 1 S 3 SGB 2 soll sicherstellen, dass der Zweck des Kindergeldes, die Abhängigkeit des Kindes vom Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld zu beseitigen, nicht verfehlt wird. Somit kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang das Kindergeld tatsächlich an das Kind weitergeleitet wird. § 1612b BGB findet schon deswegen keine Anwendung, weil § 11 Abs 1 S 3 SGB 2 eine für den Bereich des Sozialgesetzbuches vorrangige Spezialvorschrift darstellt.

2. Nicht zu beanstanden ist, dass die von dem getrennt lebenden Elternteil faktisch erbrachten Unterhaltsleistungen für das Kind bei dem Hilfebedürftigen als Einkommen in Geldeswert (geldwerte Sachleistung) iS von § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 berücksichtigt werden, zu denen Dienst- bzw Naturalleistungen und insbesondere freie Verpflegung gehören, und dass diese Sachleistungen nicht gemäß § 2 Abs 4 S 1 AlgIIV nach der Sachbezugsverordnung bewertet, sondern pauschalierend der halbe Regelsatz zugrunde gelegt wird.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 8. Juli 2005 durch die Antragsteller gegen den am 4. Juli 2005 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Juni 2005 eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu dem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Soweit sich der Antragsteller zu 1) weiterhin gegen die Anrechnung von in der Vergangenheit erzieltem Einkommen wenden sollte, fehlte ihm bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da die Antragsgegnerin schriftlich zugesichert hat, dies zukünftig zu unterlassen, und angerechnete Beträge ausgezahlt hat.

Im Übrigen haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).

Nach § 19 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II, der gemäß § 28 Abs. 2 SGB II auch für das der Tochter des Antragstellers geleistete Sozialgeld entsprechend gilt, mindert das zu berücksichtigende Einkommen die Geldleistungen der Antragsgegnerin.

Die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen der mit dem Antragsteller zu 1) in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden und von ihm gemäß § 38 Satz 1 SGB II vertretenen, nicht erwerbsfähigen Tochter - der Antragstellerin zu 2) - beruht auf der zwingenden Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Danach ist das Kindergeld für minderjährige Kinder als deren Einkommen zu berücksichtigen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Dies ist bei dem Kind M. zweifellos der Fall.

Die - verfassungsrechtlich unbedenkliche (vgl. dazu SG Oldenburg, Beschlüsse vom 4.3.2005 - S 47 AS 58/05 ER - und vom 16.2.2005 - S 47 AS 39/05 ER) - Regelung, das Kindergeld nicht dem anspruchsberechtigten Elternteil, sondern dem Kind selbst als Einkommen zuzurechnen, soll sicherzustellen, dass der Zweck des Kindergeldes, die Abhängigkeit des Kindes vom Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld zu beseitigen, nicht verfehlt wird (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II - Kommentar, § 11 RdNr. 122 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Somit kommt es darauf, in welchem Umfang das Kindergeld tatsächlich an den Antragsteller (bzw. an das Kind) weitergeleitet wird, nicht an. § 1612b des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet schon deswegen keine Anwendung, weil § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II eine für den Bereich des Sozialgesetzbuches vorrangige Spezialvorschrift darstellt.

Ebenso wenig dürfte es bei summarischer Prüfung zu beanstanden sein, dass die Antragsgegnerin Unterhaltsleistungen der Kindesmutter im Umfang des halben Bedarfssatzes als Einkommen angerechnet hat.

Dem Umstand, dass die Eltern eines Kindes getrennt l...

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