Verfahrensgang

SG Cottbus (Urteil vom 28.10.1999; Aktenzeichen S 10 KR 15/98)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.03.2003; Aktenzeichen B 3 KR 26/02 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil desSozialgerichts Cottbus vom28. Oktober 1999 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, den Kläger mit einem Therapie-Tandem mit Doppellenkung und Freilauf zu versorgen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist die Versorgung des Klägers mit einem Therapiefahrrad (Therapie-Tandem).

Für den am … 1987 geborenen Kläger verordnete die Medizinalrätin (MR) Dr. J., Fachärztin für Kinderkrankheiten am 22. März 1997 ein Therapiefahrrad „Co-Pilot” mit Doppellenkung. Der Kläger ist zur Zeit der mündlichen Verhandlung des erkennenden Senats ca. 1,65 m groß mit dem geistigen Entwicklungsstand eines Vier- bis Fünfjährigen. Er ist von seinen körperlichen Möglichkeiten uneingeschränkt in der Lage, sich fortzubewegen. Er bedarf allerdings der Aufsicht dabei, weil er geistig nicht in der Lage ist, mögliche Gefahrenmomente zu erkennen und ihnen angemessen zu begegnen.

Am 18. Juni 1996 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das verordnete Therapierad „Co-Pilot” ab. Die Kostenübernahme liege nicht im Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Fahrräder seien grundsätzlich als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Insbesondere sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu beachten, dass die Krankenkasse nicht für die Versorgung mit solchen Hilfsmitteln zuständig sei, die nicht bei der Behinderung selbst, sondern bei deren Auswirkungen und Folgen in den verschiedensten Lebensbereichen ansetzten.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Bescheid vom 03. Dezember 1997 zurück. Insbesondere gingen Fahrten mit einem Tandem über die lebensnotwendigen Grundbedürfnisse hinaus und dienten nicht mehr dem Ausgleich der Behinderung.

Mit der am 06. Januar 1998 beim Sozialgericht (SG) Neuruppin eingegangenen Klage hat der Kläger vertreten durch den Vater das Begehren auf Übernahme der Kosten für das Therapiefahrrad „Co-Pilot” weiter verfolgt.

Durch Beschluss vom 17. Februar 1998 hat das SG Neuruppin den Rechtsstreit an das SG Cottbus verwiesen.

Zur Begründung der erhobenen Klage wurde insbesondere vorgetragen, die Besonderheiten des streitgegenständlichen Tandemfahrrads sei nicht beachtet worden. Das wichtigste Kriterium für eine spezielle Anwendung eines Therapie-Tandems dürfte die Unselbständigkeit des Patienten aufgrund einer geistigen und körperlichen Behinderung sein. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen gehöre ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum sowie die Bewegungsfreiheit zumindest in einem Umkreis der mit einem von einem Behinderten selbst handbetriebenen Rollstuhl erreicht werden könne. Beim Therapie-Tandem bestehe die Möglichkeit des Mitlenkens, was das Gleichgewichtsverhalten wesentlich erleichtere und das therapeutische wichtige Gefühl vermittle, aktiv am Verkehr teilzunehmen. Über einen zuschaltbaren Leerlauf könne von der Begleitperson bestimmt werden, ob der Patient mittreten müsse oder von der Tretarbeit befreit sei.

Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 18. Juni 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Dezember 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einem Therapie-Tandem „Co-Pilot” mit Doppellenkung zu versorgen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigte ihre Entscheidungen. In seiner Mobilität sei der Kläger nicht eingeschränkt. Die aktive Bewegung außer Haus und damit auch die Teilnahme an gemeinsamen Familienunternehmungen seien möglich. Fahrten mit einem Tandem gingen damit über die lebensnotwendigen Grundbedürfnisse hinaus und dienten nicht mehr dem Ausgleich der Behinderung. (Hinweis auf Urteil des BSG vom 08. Juni 1994, SozR 3-2500 § 33 Nr. 7). Hinsichtlich des Anfallsleidens bestünden Zweifel an der Zweckmäßigkeit mit der Ausstattung.

Das SG hat eine Auskunft von dem Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums des C.-T.-Klinikums C. vom 17. Juni 1998 eingeholt und von dem Chefarzt der Kinderabteilung Dr. Sch. des Kreiskrankenhauses H. ein schriftliches Gutachten. Letzterer meinte, die Versorgung mit einem Therapie-Fahrrad Marke „Co-Pilot” sei zum unmittelbaren Behinderungsausgleich notwendig, geeignet und wirtschaftlich, da in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei, dass C. selbständig in der Lage sein werde, alleine Fahrrad zu fahren.

Das SG Cottbus hat durch Urteil vom 28. Oktober 1999 den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Dezember 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit einem Therapie-Tandem „Co-Pilot” mit Doppellenkung gemäß Antrag vom 03. Juni 1997 abzüglich eines vom Kläger zu tragenden Eigenanteils in Höhe von DM 399,– zu versorgen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen....

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