Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Gerichtsbescheid. Verfahrensfehler

 

Orientierungssatz

1. Eine Anhörungsmitteilung iS von § 105 Abs 1 S 2 SGG ist in der Regel nur einmal erforderlich. Eine nochmalige Mitteilung ist jedoch dann notwendig, wenn sich die Prozeßsituation wesentlich geändert hat. Dies ist ua dann der Fall, wenn eine Klagebegründung oder ein neuer Tatsachenvortrag eingereicht worden ist oder wenn ein Beteiligter einen Beweisantrag stellt. Tritt eine derartige Änderung der Prozeßsituation ein, so muß ein Gericht in der Regel zumindest eine neue Anhörungsmitteilung fertigen und über das unverändert beabsichtigte Verfahren unterrichten und damit darauf hinweisen, daß das Gericht keine weiteren Schritte zur Sachaufklärung vornehmen werde.

2. Ein Gerichtsbescheid muß die Gründe angeben, die für die richterliche Überzeugung bei der Feststellung des Sachverhalts leitend gewesen sind. Denn nur dies ermöglicht die Überprüfung, ob ein Gericht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und Beweise gewürdigt hat. Die Entscheidungsgründe müssen zeigen, daß dies geschehen ist. Zeigen sie dies nicht, leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel.

3. Wenn Verwaltungsgutachten nicht ausreichen, um relevante Fragen zu beantworten, so muß das Gericht einen Sachverständigen beauftragen. Dem steht auch nicht entgegen, daß es letztlich Aufgabe des Gerichtes ist, die Kausalität zu beurteilen und die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu schätzen. Zwar haben ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit Beeinträchtigungen durch Unfallfolgen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, keine verbindliche Wirkung. Sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die Beurteilung der Kausalität und für die richterliche Schätzung der MdE.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles eine Verletztenteilrente aus der Unfallversicherung zu gewähren hat.

Der 1933 geborene Kläger erlitt am 18. Mai 1995 einen Arbeitsunfall. Gegen 8.00 Uhr morgens befand er sich auf einer Dienstfahrt in einem Großraumwagen der Deutschen Bahn 1. Klasse auf der Fahrt nach Dresden. Bei der Einfahrt des Zuges in den Bahnhof stand der Vordermann plötzlich auf. Die Lehne des Vordersitzes löste sich, kippte zurück und prallte gegen das angewinkelte linke Kniegelenk des Klägers. Der Kläger verspürte sofort Schmerzen an der Innenseite des linken Kniegelenkes und meldete den Unfall dem Zugbegleiter. Er setzte dann jedoch seine Dienstfahrt fort. Am 29. Mai 1995 begab er sich in ärztliche Behandlung bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. F. Dieser stellte keine Schwellung und keinen Druckschmerz fest und diagnostizierte eine Prellung des linken Kniegelenkes. Nach anhaltenden Schmerzen wurde eine Magnetresonanztomographie des linken Kniegelenkes durchgeführt. Hierbei stellte sich ein Riß am Innenmeniskus heraus. Durch Arthroskopie des linken Kniegelenkes wurden außerdem eine Chondropathia patella 3. Grades, eine Chondropathia des medialen Meniskus 3. Grades, eine Chondropathia des medialen Tibiaplateaus 2. Grades und ein Lappenriß des medialen Meniskus am Hinterhorn sowie eine Synovialitis festgestellt.

Im nunmehr eingeleiteten Verwaltungsverfahren holte die Beklagte u.a. einen Bericht des Arztes Dr. F vom 22. Mai 1996 und ein freies ärztliches Gutachten des Chirurgen Dr. M vom 17. Oktober 1996 ein. In diesem Gutachten gelangte Dr. M zu dem Ergebnis, das Unfallereignis sei in seiner Art und Schwere nicht geeignet gewesen, eine Kniebinnenverletzung herbeizuführen. Es handele sich um eine selbständige unfallunabhängige Erkrankung des linken Kniegelenkes. Die Prellung des Gelenkes habe keine Unfallfolgen oder Minderung der Erwerbsfähigkeit hinterlassen. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. Oktober 1996 die Gewährung von Leistungen ab dem 29. Mai 1995 ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte sie eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes, des Chirurgen und Durchgangsarztes Dr. S, vom 3. März 1997 ein. Hierin bestätigte der Beratungsarzt die Auffassung des Dr. M und stellte fest, es habe keinen Zusammenhang zwischen den Beschwerden des Klägers und dem Unfallereignis gegeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. April 1997 wies daraufhin die Beklagte den Widerspruch zurück. Im Widerspruchsbescheid teilte sie dem Kläger den Inhalt der Stellungnahme des Dr. S mit und schloß sich dieser an.

Gegen diesen ihm am 7. April 1997 übersandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 7. Mai 1997 Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben. Das Sozialgericht hat durch richterliche Verfügung vom 11. September 1997 die Beteiligten hinsichtlich der beabsichtigten Erteilung eines Gerichtsbescheides angehört. Dieses Schreiben ist den Beteiligten am 16. September 1997 übersandt worden. Erst danach, nämlich am 6. Oktober 1997, hat der Bevollmächtigte des Klägers nach zwischenzeitlich genommener Akteneinsicht die Klage begründet...

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