Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Entziehung der Merkzeichen “G„ und “B„ bei einem hörbehinderten Kind nach Vollendung des 16. Lebensjahres

 

Orientierungssatz

1. Das behinderungsbedingte Entwicklungsdefizit eines Kindes, das an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit leidet, ist mit dem Erreichen des 16. Lebensjahres in der Regel soweit reduziert, dass das Merkzeichen "G" und "B" nur dann gerechtfertigt ist, wenn zusätzlich Störungen vorliegen, die dazu führen, dass es sich auf den nicht täglich benutzten Wegen nur schwer zurecht finden kann. Eine leichte Sehbehinderung, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist, begründet jedenfalls keine derartige zusätzliche Störung.

2. Entfallen mit dem Erreichen des 16. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ bei einem Hörgeschädigten, so liegen auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen “B„ nicht mehr vor.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. August 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung der Merkzeichen “G„ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und “B„ (Notwendigkeit ständiger Begleitung).

Für die 1989 geborene Klägerin stellte der Beklagte durch Bescheid vom 17. April 1996 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen “H„, “G„, “B„, “RF„ und “Gl„ wegen einer Hörbehinderung mit Sprachstörungen fest.

Im September 2005 leitete der Beklagte ein Nachprüfungsverfahren ein, in dem eine Auskunft der Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. K eingeholt wurde. In Auswertung dieser Auskunft stellte die Allgemeinmedizinerin H am 08. Dezember 2005 eine mit einem GdB von 100 zu bewertende, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen fest; die Voraussetzungen für die Feststellung der Merkzeichen “G„ und “B„ seien laut AHP entfallen.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2005 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Aufhebung des Bescheides über die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen “G„ und “B„ an. Da das 16. Lebensjahr vollendet sei, seien die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Merkzeichen nicht mehr gegeben.

Durch Bescheid vom 17. Februar 2006 stellte der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 17. April 1996 gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Merkzeichen “B„ und “G„ nicht mehr vorliegen. Der GdB betrage weiterhin 100 und die Voraussetzungen für die Merkzeichen “H„, “RF„ und “Gl„ seien erfüllt.

Auf den Widerspruch der Klägerin holte der Beklagte eine gutachtliche Stellungnahme des Sozialmediziners B vom 20. April 2006 ein, der die Einschätzung im Bescheid vom 17. Februar 2006 bestätigte.

Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2006 zurück. Es sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten, da im Erwachsenenalter eine erhebliche Gehbehinderung bzw. die Notwendigkeit ständiger Begleitung bei Hörstörungen nur anzunehmen sei, wenn diese in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktionen (z.B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) auftrete. Diese Voraussetzungen lägen im Falle der Klägerin nicht vor.

Mit ihrer am 25. Januar 2007 zu dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2006 und macht geltend, dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen “G„ und “B„ weiterhin vorlägen. Sie hat vorgetragen, dass sie auf eine Begleitperson angewiesen sei, da sie sich im Notfall nicht verständigen könne. Zudem könne sie Ansagen im öffentlichen Nahverkehr, mit denen Passagiere vor möglichen Gefahrquellen gewarnt würden, nicht hören. In größeren Ansammlungen von Fremden sei sie sehr ängstlich und benötige eine Begleitperson. Darüber hinaus habe sie ein Herzleiden, welches ihr größere körperliche Anstrengungen sehr schwer fallen lasse.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der Dr. K (Juni und Dezember 2007) sowie der Fachärztin für Kinderheilkunde und Kinderkardiologie Dr. H(Juni 2007) eingeholt, einen augenärztlichen Befund der Charité vom 20. Oktober 2006 sowie Arztbriefe des Unfallkrankenhauses Berlin vom 13. März 2008 und 27. Juli 2008 und des Hals-, Nasen- und Ohrenarztes Dr. N vom 08. Januar 2008 beigezogen. Zudem hat das Sozialgericht ein Gutachten nach Aktenlage durch die Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. D in Auftrag gegeben. Diese gelangte am 22. April 2009 zu der Einschätzung, dass sich auch für den Zeitpunkt Dezember 2006 eine Störung der Orientierungsfähigkeit durch Kombination der beidseitigen Taubheit mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktionen nicht annehmen lasse; auch die Notwendigkeit...

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