Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufsichtsrecht. Kranken- und Pflegeversicherung. Aufgabenerledigung durch Dritte. Verpflichtungsanordnung zur außerordentlichen Kündigung eines Dienstleistungsvertrages zur Erbringung von Fallbearbeitungsunterstützungen. Auftragsverbot nach § 197b S 2 SGB 5. Missachtung von Datenschutzbestimmungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die wesentlichen Aufgaben zur Versorgung Versicherter iSv § 197b S 2 SGB V umfasst insbesondere die Ebene der individuellen Versorgung, dh die konkrete Fallbearbeitung einschließlich der Prüfung individueller Ansprüche der Versicherten.

2. Das Recht der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI kennt keine § 197b SGB V vergleichbare Befugnis zur Aufgabenerledigung durch Dritte.

 

Orientierungssatz

1. Zum Streit über einen Verpflichtungsbescheid der Aufsichtsbehörde gegenüber einer Krankenkasse, den von ihr mit einem privaten Dritten geschlossenen „Rahmenvertrag über die Erbringung von Fallbearbeitung-Dienstleistungen“ aufgrund der Missachtung von § 197b SGB 5 und des Datenschutzes (§ 284 SGB 5) außerordentlich und unverzüglich zu kündigen.

2. Im Bereich der sozialen Pflegeversicherung sind - mangels eines entsprechenden Verweises im SGB 11 - nicht die Datenschutzbestimmungen des § 284 SGB 5 einschlägig, sondern § 93 Abs 1 SGB 11 iVm den §§ 67aff SGB 10 und § 94 SGB 11.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.08.2023; Aktenzeichen B 3 A 1/23 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheid des Bundesamtes für Soziale Sicherung (im Folgenden: die Beklagte) gegenüber der klagenden Krankenkasse.

Die Klägerin schloss infolge eines von ihr durchgeführten Vergabeverfahrens mit der M GmbH (im Folgenden: GmbH) einen „Rahmenvertrag über die Erbringung von Fallbearbeitung-Dienstleistungen“ mit im Wesentlichen folgendem Inhalt:

§ 1 Vertragsbestandteile

(1) Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien ergeben sich aus:

- diesem Rahmenvertrag,

- den Vergabeunterlagen, insbesondere dem Leistungsverzeichnis und den Bewerbungsbedingungen,

- dem Angebot des Auftragnehmers nebst allen Anlagen,

- den während der Ausschreibung gestellten Bieterfragen und die Antworten der Auftraggeberin,

- den Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL/B) in der bei Vertragsschluss geltenden Fassung,

- den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). […]

§ 2 Gegenstand des Rahmenvertrages

(1) Gegenstand des Auftrages sind die Fallbearbeitung-Dienstleistungen zur Unterstützung von Tätigkeiten im Rahmen der BP1, BP2, BP3, BP4, BP5, BP6, BP7, BP8 und BP9 wie in dem Leistungsverzeichnis definiert. Das hoheitliche Handeln verbleibt vollständig bei der Auftraggeberin.

(2) Dem Auftragnehmer werden die vorbereitenden Aufgaben übertragen. Der Auftragnehmer hat sämtliche Unterstützungstätigkeiten zu erbringen.

(3) Die Leistungen ergeben sich im Einzelnen aus dem Leistungsverzeichnis. […]

§ 3 Grundpflichten des Auftragnehmers […]

(2) Die Einzelheiten zur Leistungserbringung durch den Auftragnehmer ergeben sich aus den Vergabeunterlagen, insbesondere dem Leistungsverzeichnis nebst Anlagen. Alle Leistungen sind in enger Abstimmung mit der Auftraggeberin durchzuführen.

(3) Hoheitliches Handeln erfolgt ausschließlich durch die Auftraggeberin. Der Auftragnehmer kann hoheitliche Entscheidungen und Handlungen lediglich vorbereiten, aber nicht selbst treffen oder durchführen. Dies ist allein der Auftraggeberin vorbehalten.

(4) Der Auftragnehmer wird den fachlichen Weisungen der Auftraggeberin Folge leisten. Diese können sowohl in Form von Arbeitsanweisungen für eine Vielzahl von Fällen, als auch in Form von Weisungen im konkreten Einzelfall erteilt werden. Im Verhältnis zu Dritten und insbesondere zu den Versicherten setzt der Auftragnehmer diese Vorgaben um und trifft keine eigene Entscheidung. Er ist insofern Erklärungsbote der Auftraggeberin und erhält für seine Tätigkeit keine Vertretungsmacht. […]

(6) Die Leistungen müssen dem aktuellen Stand der anerkannten fachlichen/technischen Regeln entsprechen. Über die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen kann sich die Auftraggeberin jederzeit im Rahmen der üblichen Geschäftszeiten durch den Auftragnehmer unverzüglich Bericht erstatten lassen.

(7) Der Auftragnehmer verpflichtet sich, die zu erbringenden Leistungen fachgerecht, termingerecht, rechtskonform und vollständig auszufüllen.

(8) Der Auftragnehmer hält alle gesetzlichen, behördlichen, sozialrechtlichen und berufsgenossenschaftlichen Verpflichtungen gegenüber seinen Mitarbeitern ein.

(9) Sämtliche in diesem Rahmenvertrag dem Auftragnehmer auferlegten Pflichten gelten im gleichen Umfange für die eingesetzten Erfüllungsgehilfen (Nachunternehmer, andere Unternehmen). Der Auftragnehmer ist daher verpflichtet, etwaige Nachunternehmer über die Inhalte dieses Rahmenvertrages in Kenntnis zu setzen und deren Befolgung zu überwachen. Etwaige Verstöße gegen den Rahmenvertrag...

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