Entscheidungsstichwort (Thema)

Verursachungswahrscheinlichkeit einer Tätigkeit im Uranerzbergbau für eine Krebserkrankung nach dem Jakobi 2-Gutachten. Berufskrankheit. DDR. Wismut AG. extrapulmonale Krebserkrankung. Darmkrebs

 

Orientierungssatz

1. Für die Beurteilung eines Dickdarmtumors als Berufskrankheit (BK) Nr. 29 BKVO-DDR - bösartige Neubildung durch ionisierende Strahlen - ist maßgeblich darauf abzustellen, ob es sich um einen Primärtumor oder um Metastasen einer primären Krebserkrankung handelt.

2. Die generelle Eignung ionisierender Strahlen als Ursache eines Dickdarmkarzinoms ist nach wie vor umstritten. Mit der Aufnahme der Erkrankung "Bösartige Neubildungen oder ihre Vorstufen durch ionisierende Strahlung" in die Nr. 29 der Liste der BKen der Anlage zur BKVO-DDR hat der DDR-Verordnungsgeber die Ursächlichkeit einer beruflichen Schädigung generell anerkannt und damit alle Krebserkrankungen als solche, auch die extrapulmonalen, für entschädigungswürdig befunden, ohne nach Strahlenart oder Organbelastung zu differenzieren.

3. Die Anerkennung einer BK Nr. 92 BKVO-DDR ist dann ausgeschlossen, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Strahleneinwirkung und dem Dickdarmkarzinom nicht festzustellen ist. Erforderlich ist, dass die festgestellte berufliche Strahleneinwirkung nach Art und Dosis ausgereicht hat, um als wesentliche Bedingung für diese Erkrankung angesehen zu werden.

4. Das Jacobi 2-Gutachten, im Auftrag des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften und des Instituts für Strahlenschutz erstellt, hat standardisierte Modelle entwickelt, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse beruhen. Diese gelten nach der Rechtsprechung des BSG als verlässliche Grundlage für individuelle Feststellungen der Verursachungswahrscheinlichkeit extrapulmonaler Krebserkrankungen.

5. Weil es nach wie vor keine wissenschaftlichen Studien gibt, die ein beruflich erhöhtes Risiko für Darmkrebserkrankungen durch Strahlenbelastung bei Tätigkeiten im Uranbergbau belegen und konkrete Daten zu einer Dosis-Wirkung-Beziehung liefern, handelt es sich bei dem Berechnungsmodell nach dem Gutachten Jacobi 2 um die derzeit wissenschaftlich fundierteste, verlässlichste und praktikabelste Methode zur Feststellung der Verursachungswahrscheinlichkeit.

6. Bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 25 % ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich eine Dickdarmkrebserkrankung auf die frühere Beschäftigung im Uranerzbergbau der DDR zurückführen lässt.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2004 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung der Tumorerkrankung des am 24. Januar 1989 verstorbenen Ehemanns der Klägerin S L (Versicherter) als Berufskrankheit (BK) Nr. 92 (bösartige Neubildungen durch ionisierende Strahlen) der Liste der Berufskrankheiten der Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten der DDR (BKVO-DDR) und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.

Der Ehemann der Klägerin war bei der Sowjetisch-Deutschen AG Wismut (SDAG Wismut) von Februar bis Oktober 1948 als Hauer und von Juni 1949 bis Mai 1957 als Baggerfahrer (2,7 Jahre) und als Hauer (5,6 Jahre) beschäftigt. Bei diesen Tätigkeiten war er Belastungen durch ionisierende Strahlen ausgesetzt. Nach Aufgabe dieser Tätigkeit war der Versicherte bis 1984 Maschinist und bezog anschließend eine Invalidenrente. Neben seit Ende der 60er Jahre auftretenden Rücken-, Hüft- und Kniebeschwerden, Herz-/Kreislauferkrankungen, einem 1976 erstmals festgestellten Diabetes mellitus II mit Polyneuropathie und einer Adipositas litt der Versicherte, der von 1940 bis 1970 ca. 20 Zigaretten täglich geraucht hatte, seit Mitte der 70er Jahre unter wiederholt auftretenden Kehlkopf- und Luftröhrenentzündungen. Bei einem Krankenhausaufenthalt im Frühjahr 1978 wurde ein Tumor oberhalb des rechten Schlüsselbeins festgestellt, der in der Zeit bis zum April 1982 operativ entfernt wurde. Eine sichere Beurteilung der Kehlkopferkrankungen war mit den durchgeführten Maßnahmen nicht möglich (vgl. die Unterlagen des A-Kreiskrankenhauses über Behandlungen aus der Zeit von März 1978 bis April 1982). Im Frühjahr 1988 wurde ein Dickdarm (Colon)-Karzinom diagnostiziert. Am 16. Juni 1988 erfolgte im St. H-krankenhaus B die operative Entfernung eines Teils des Dickdarms. Tochtergeschwülste wurden in der Leber, den Bauchlymphknoten, der Bauchspeicheldrüse und der Lunge vorgefunden. Nach dem histologischen Befund von Dr. W vom 22./24. Juni 1988 handelte es sich bei dem Dickdarmtumor um ein mäßig differenziertes Adenokarzinom. Am 24. Januar 1989 verstarb der Versicherte an Herzversagen. Ein nachfolgendes pathologisches Gutachten bestätigte die früheren Befunde, insbesondere die Diagnose des Colon-Karzinoms als mäßig differenziertes Adeno-Karzinom. Weiter wurden eine Lungenwassersucht (Ödem), Pleuraergüsse, eine Recht...

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