Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Säugling. Beobachtungspflege. Vergütungsanspruch nach Nr 26 der Häuslichen Krankenpflege-Richtlinien. Pflegedienst. Versorgungsvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Vergütungsanspruch nach Nr 26 der HKP-Richtlinien - HKP-RL (juris: HKPRL) idF vom 17.1.2008, in Kraft getreten ab 11.6.2008, setzt nicht voraus, dass das Pflegeunternehmen vertraglich gemäß § 132a Abs 2 SGB 5 an die Krankenkasse des Versicherten gebunden ist, sofern die Krankenkasse am Wohnsitz des Versicherten über keine Vertragspartner nach § 132a Abs 2 SGB 5 verfügt.

2. Ein Vergütungsanspruch nach Nr 26 der HKP-Richtlinien idF vom 17.1.2008, in Kraft getreten ab 11.6.2008, setzt nicht voraus, dass die medizinische Notwendigkeit der häuslichen Krankenpflege erwiesen ist. Daher ist ein Pflegeunternehmen bei Übernahme der Pflege einer eingehenden Prüfung der medizinischen Notwendigkeit vertragsärztlich verordneter häuslicher Krankenpflege enthoben; anderes könnte höchstens gelten in Fällen, in denen eine medizinische Notwendigkeit auf den ersten Blick offensichtlich nicht erkennbar ist, so dass pflegerische Leistungen gleichsam ins Leere hinein erbracht würden.

 

Orientierungssatz

Alle Träger von geeigneten, wirtschaftlich arbeitenden Pflegediensten haben nach § 132a Abs 2 S 1 SGB 5 iVm Art 12 GG einen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags; ein gesondertes Zulassungsverfahren und eine Bedarfsprüfung finden nicht statt (vgl BSG vom 24.9.2002 - B 3 A 1/02 R = BSGE 90, 84 = SozR 3-2500 § 63 Nr 1).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.04.2016; Aktenzeichen B 3 KR 18/15 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Mai 2012 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 29.041,50 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu ¾ und die Klägerin zu ¼.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 41.545,- Euro für in der Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 19. November 2008 durchgeführte Leistungen der häuslichen Krankenpflege.

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das im Raum Berlin häusliche Krankenpflege anbietet. Am 26. Juli 2004 schloss die Klägerin mit der damaligen AOK Berlin einen Vertrag nach § 132 a Abs. 2 SGB V über die Erbringung häuslicher Krankenpflege; ein Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten (AOK Niedersachsen) über die Erbringung von Leistungen häuslicher Krankenpflege nach § 132a Abs. 2 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) existiert nicht; die Beklagte unterhält keine vertraglichen Beziehungen nach § 132a Abs. 2 SGB V zu in Berlin ansässigen Pflegeunternehmen.

Das Kind A (im Folgenden: der Versicherte) kam am 10. August 2008 im V Klinikum zur Welt. Während und nach der Geburt kam es zu einer cerebralen Blutung, zu einer perinatalen Asphyxie, zu Krampfanfällen, zu Apnoen sowie zu einer respiratorischen Insuffizienz. Der Versicherte wurde bis zum 19. August 2008 beatmet, befand sich bis zum 27. August 2008 in intensivneonatologischer und bis zum 1. Oktober 2008 in stationärer Behandlung. In einem Arztbrief der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des V Klinikums vom 24. September 2008 heißt es: “Die antiepileptische Therapie am 16.09.08 beendet. Im Anschluss wurden bis jetzt keine Krampfanfälle beobachtet. Eine kontinuierliche Beobachtung bezüglich neu auftretender Anfälle ist jedoch zwingend erforderlich und durch die Mutter alleine nicht zu gewährleisten. Wir befürworten die Unterstützung der Mutter durch einen 24-stündigen Pflegedienst.„

Im Entlassungsbericht vom 1. Oktober 2008 heißt es unter “weitere Empfehlung„ u.a.: “Kinderarztvorstellung innerhalb einer Woche nach Entlassung, auf Krampfanfälle achten, bei Auffälligkeiten Vorstellung in unserer Klinik zur Langzeit-antikonvulsiven Einstellung, SPZ-Mitbetreuung, Fortführung der Physiotherapie nach Vojta, augenärztliche Vorstellung mit ca. 6 Monaten empfohlen„.

Unter “Verlauf„ führt der Entlassungsbericht u.a. aus: “Aufgrund der aufwändigeren Versorgungssituation und der teilweise distanzierten mütterlichen Betreuung dem Kind gegenüber erfolgt die Entlassung heute in eine Mutter-Kind-Einrichtung (Astraße), zusätzlich ist ein 24-stündiger Pflegedienst in die Versorgung involviert. Die physiotherapeutischen Maßnahmen sind mit dem Pflegedienst besprochen, weitere Termine hier in der Klinik vereinbart.„

Am 1. Oktober 2008 wurde der Versicherte zusammen mit seiner Mutter in eine 24-stündig betreute Mutter-Kind-Wohnung der Diakonie entlassen, in der rund um die Uhr ein Sozialarbeiter für 5 Mütter arbeitet, jedoch keine examinierte Pflegekraft.

Bereits am 29. September 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Bewilligung häuslicher Krankenpflege für den Versicherten. Diese werde ab dem 1. Oktober 2008 erbracht werden. Es sei erforderlich, den Versicherten rund um die Uhr zu beobachten, um ein erneutes Auftreten von Krampfanfällen rechtzeitig erkennen ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge