Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenerstattungsanspruch. vertragsärztliches Systemversagen. nach oben abweichende Gebührenhöhe (§ 2 GOÄ 1982). Verpflichtung zur Übernahme der Mehrkosten durch die gesetzliche Krankenkasse

 

Orientierungssatz

Ist im Falle eines vertragsärztlichen Systemversagens der Versicherte berechtigt, einen Privatarzt aufzusuchen und sich von ihm behandeln zu lassen und ist dieser nur nach Vereinbarung einer von der GOÄ (juris: GOÄ 1982) nach oben abweichenden Gebührenhöhe (§ 2 GOÄ 1982) selbst oder durch Mithilfe unselbstständiger Hilfeleistungen anderer Personen zur Behandlung bereit, ist die Beklagte auf Basis einer rechtmäßigen Honorarvereinbarung und ordnungsgemäßen Abrechnung nach der GOÄ 1982 grundsätzlich auch zur Übernahme dadurch entstehender Mehrkosten verpflichtet (vgl BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 19/20 R = SozR 4-2500 § 15 Nr 3).

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Kostenübernahme für eine außervertragliche Psychotherapie.

Der 1963 geborene Kläger hatte mit Eingang bei der Beklagten am 17. März 2020 einen „Antrag auf Psychotherapie im Rahmen der Kostenerstattung“ bei dem nicht durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten F gestellt, dies unter Vorlage einer Liste bereits von ihm erfolglos kontaktierter Psychotherapeuten, die ihm keinen Therapieplatz hätten anbieten können. Der Psychotherapeut F teilte auf Befragen mit, dass die Durchführung einer ambulanten Langzeit-Verhaltenstherapie über 60 Sitzungen beabsichtigt sei. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 3. April 2020 ein, für den Dr. Z ausführte, dass Angaben und Nachweise zur bisher erfolgten Behandlung fehlten und die Voraussetzungen für die begehrte Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Mit Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung vom 8. April 2020 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass eine Kostenübernahme für die beantragte außervertragliche Psychotherapie nicht erfolgen könne. Mit Eingang bei der Beklagten am 8. Mai 2020 beantragte der Kläger erneut die Bewilligung von Psychotherapie im Rahmen der Kostenerstattung, dies unter Verweis auf weitere von ihm erfolglos kontaktierte Psychotherapeuten. Die Beklagte befragte erneut den MDK, für den unter dem 19. Mai 2020 Dr. H ausführte, dass die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung erfüllt seien.

Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Mai 2020 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass man „unter Berücksichtigung des Einzelfalls“ einmalig die Kosten für eine Langzeittherapie (Verhaltenstherapie) von max. 60 Therapieeinheiten bei dem Psychotherapeuten F übernehme. Über den Leistungsumfang sei der Behandler mit dem beigefügten Schreiben zu informieren, die beigefügte Bescheinigung sei vor Beginn der Behandlung beim Psychotherapeuten vorzulegen. Der Therapeut werde die erbrachten Leistungen dann direkt mit ihr, der Beklagten, abrechnen. Beigefügt war ein Schreiben an den Psychotherapeuten F vom 27. Mai 2020, wonach die Kosten für die außervertragliche Langzeittherapie für den Kläger übernommen würden. Weiter ist ausgeführt, dass er, der Psychotherapeut, über keine Zulassung der KV verfüge. Die Abrechnungsgrundlage orientiere sich daher an der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Daher sei ihr als Leistungsträgerin gegenüber in diesem Zusammenhang gemäß § 11 GOÄ nur der einfache GOÄ-Gebührensatz abrechnungsfähig. Eine Steigerung der Gebühr innerhalb des bestehenden Gebührenrahmens sei nicht zulässig. Die erbrachte psychotherapeutische Leistung sei unmittelbar mit ihr, der Krankenkasse, abzurechnen. Der Abschluss eines privaten Behandlungsvertrages mit dem Kläger sei gemäß „unrechtmäßig (§ 630a Abs. 1 BGB)“(Bürgerliches Gesetzbuch), Mehrkosten dürften dem Kläger nicht auferlegt werden.

Den vom Kläger gegen die Honorarbeschränkung erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2020 - erneut unter Verweis auf § 11 Abs. 1 GOÄ - zurück.

Hiergegen hat der Kläger die vorliegende, am 13. August 2020 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Klage erhoben.

Am 29. September 2020 wandte sich der Kläger an das Gericht mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, der zum Aktenzeichen S 76 KR 1911/20 ER geführt wurde. Er führte aus, dass der Therapeut nicht bereit sei, die Leistungen mit der Kostenbeschränkung auf den 1,0-fachen Satz nach GOÄ zu übernehmen. Die Leistung sei aber unaufschiebbar. Mit Beschluss vom 18. November 2020 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, bis zur Bestandskraft ihres Bescheides vom 27. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2020 den Kläger v...

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