Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Kleinwuchs bei Kindern. Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

 

Orientierungssatz

1. Teil B Nr 18.7 der in der Anlage zu § 2 VersMedV geregelten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zur Bewertung eines Kleinwuchses im Schwerbehindertenrecht stellt in seinem Wortlaut auf die Körpergröße nach Abschluss des Wachstums ab und ist damit auf kleinwüchsige Erwachsene beschränkt.

2. Bei einem Kind ist deshalb die Höhe des GdB unter Beachtung der besonderen Gegebenheiten entsprechend Teil A Nr 2 Buchst d VMG zu bemessen. Dabei sind als Vergleichsmaßstab nach Teil B Nr 1 Buchst b VMG die in der GdB-Tabelle aufgeführten Bewertungen entsprechend heranzuziehen.

3. Bei kleinwüchsigen Kindern ist danach darauf abzustellen, inwieweit deren körperliche Funktionen von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 21.03.2016; Aktenzeichen B 9 SB 81/15 B)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. April 2014 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 13. Mai 2014 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab 28. April 2010 einen Grad der Behinderung von 80 festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Rechtsstreits zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Bei dem 2004 geborenen Kläger hatte der Beklagte mit Wirkung ab Januar 2005 für die Funktionsbehinderungen

angeborene Knorpelerkrankung mit Wachstumsstörung,

motorische Retardierung

einen GdB von 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen “G„, “B„ und “H„ festgestellt.

Den Änderungsantrag des Klägers vom 28. April 2010 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2011 ab. Mit der bei dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat der Kläger einen GdB von mindestens 80 und das Merkzeichen “aG„ begehrt.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, u.a. der Orthopädin Dr. H-S vom 5. November 2012, eingeholt. Der Beklagte hat sich in dem - von dem Kläger angenommenen - Teilanerkenntnis vom 1. März 2013 bereit erklärt, bei dem Kläger ab 16. Dezember 2010, dem Beginn der orthopädischen Behandlung, einen GdB von 60 festzustellen. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

angeborene Knorpelerkrankung mit Wachstumsstörung,

Funktionsstörung der Wirbelsäule,

Funktionsstörung beider Ellenbogengelenke,

Lockerung des Kniebandapparats beidseits.

Mit Urteil vom 8. April 2014 hat das Sozialgericht Potsdam die über das Teilanerkenntnis hinaus weiterverfolgte Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, der durch die Achondroplasie (die Wachstumsstörung) bedingte GdB von 50 sei im Hinblick auf die Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk stärkeren Grades und die Funktionsbeeinträchtigungen der Kniegelenke, für die jeweils ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen sei, mit Wirkung ab dem 16. Dezember 2010 auf einen Gesamt-GdB von 60 zu erhöhen. Die Voraussetzungen des Merkzeichens “aG„ lägen nicht vor. Mit Bescheid vom 13. Mai 2014 hat der Beklagte sein Teilanerkenntnis ausgeführt.

Mit der Berufung gegen die Entscheidung des Sozialgerichts hat der Kläger sein Begehren zunächst weiter verfolgt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des am Sozialpädiatrischen Zentrum der Charité für chronisch kranke Kinder tätigen Facharztes für Pädiatrie Dr. S vom 31. Mai 2015. Der Sachverständige hat den Gesamt-GdB im Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers am 17. April 2015 mit 70 bewertet. Das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “aG„ hat er verneint.

In der mündlichen Verhandlung vom 3. September 2015 hat der Kläger hinsichtlich des Merkzeichens “aG„ die Berufung zurückgenommen. Der Beklagte hat erklärt, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 17. April 2015 einen Gesamt-GdB von 70 festzustellen. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen weiter geführt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. April 2014 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 3. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 13. Mai 2014 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 28. April 2010 einen Grad der Behinderung von 80 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist.

Er ist der Ansicht, dass seine Entscheidung zutreffend ist.

Wegen...

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