Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsanspruch. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Verwaltungsvollstreckung. Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen. Zulässigkeit der Vollstreckung nach Verjährungseintritt. Verjährungsfrist. Antragsgegner bei Vollstreckungsankündigung durch Inkasso-Service der BA

 

Orientierungssatz

1. Eine Vollstreckung ist nach § 258 AO 1977 einstweilen einzustellen, wenn die Erstattungsforderung verjährt ist und eine gleichwohl erfolgende Vollstreckung nicht der Billigkeit entspricht.

2. Nur Verwaltungsakte, die entweder zugleich mit der Festsetzung nach § 50 Abs 3 S 1 SGB 10 oder aber innerhalb der 4-Jahres-Frist des § 50 Abs 4 S 1 SGB 10 zur Durchsetzung des festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, setzen nach § 52 Abs 2 SGB 10 eine Verjährungsfrist von 30 Jahren in Gang. Ist mit dem Erstattungsbescheid kein auf die Durchsetzung des festgestellten Erstattungsanspruchs gerichteter weiterer Verwaltungsakt ergangen, bleibt es bei der Verjährungsfrist von 4 Jahren, da der Erstattungsbescheid für sich genommen keinen Verwaltungsakt iS des § 52 Abs 1 SGB 10 darstellt.

3. Es ist nicht zu beanstanden, dass sich die einstweilige Anordnung gegen das Jobcenter richtet, obwohl die Vollstreckungsankündigung von der Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service - stammt.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. November 2018 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollstreckung gegen sie festgesetzter Erstattungsforderungen.

Die 2006 geborene Antragstellerin und ihre allein sorgeberechtigte Mutter kamen im September 2012 aus Kasachstan nach Deutschland. Hier bezogen sie ab Oktober 2012 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) vom Antragsgegner.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2013 hob dieser die für die Antragstellerin erfolgte Bewilligung von Leistungen für die Monate Februar und März 2013 - wegen des Bezuges von Unterhaltsvorschuss - teilweise in Höhe von insgesamt 360,00 € auf. Mit Bescheid vom 04. November 2013 hob er die Leistungsbewilligung für die Monate November 2012 bis Februar 2013 teilweise in Höhe von insgesamt 1.226,65 € auf, nachdem Kindergeld bewilligt worden war, wobei er das im November 2012 für die Monate September und Oktober 2012 ausgezahlte Kindergeld als einmalige Einnahme betrachtete und auf sechs Monate verteilt anrechnete. Weiter machte er in den Bescheiden Erstattungsforderungen in jeweils entsprechender Höhe gegen die Antragstellerin geltend. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Zum 01. November 2013 verzogen die Antragstellerin und ihre Mutter in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Jobcenters.

Unter Verweis auf die vorgenannten Bescheide wandte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service, sich "im Auftrag des Jobcenters" mit Schreiben vom 15. Oktober 2018 an die Mutter der Antragstellerin, erklärte sich zur Wahrnehmung des Forderungseinzugs für beauftragt und mahnte die Zahlung der am 16. August und 22. November 2013 fälligen Forderungen in Höhe von insgesamt noch 1.506,65 € an. Weiter machte sie Mahngebühren in Höhe von 8,00 € geltend und kündigte an, die zwangsweise Einziehung der Forderung zu veranlassen, falls die Zahlung nicht bis zum 29. Oktober 2018 eingegangen sein sollte.

Am 26. Oktober 2018 hat die - anwaltlich vertretene - Antragstellerin daraufhin beim Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht, beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vollziehung der Erstattungsbescheide einzustellen und zur Begründung geltend gemacht, dass die Erstattungsforderungen verjährt seien.

Der Antragsgegner ist der Einrede der Verjährung entgegengetreten und hat insoweit ausgeführt, dass die nach §§ 50 Abs. 4 Satz 3, 52 Abs. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) hier geltende Frist von 30 Jahren ab Unanfechtbarkeit des Festsetzungsbescheides nach § 50 Abs. 3 SGB X nicht abgelaufen sei.

Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 21. November 2018 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Vollstreckung der Forderungen aus den Bescheiden vom 29. Juli und 04. November 2013 in Höhe von 1.506,65 € vorläufig einzustellen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen dargelegt, dass ein Anordnungsanspruch bestehe. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Einstellung der Vollstreckungen. Es lägen die Voraussetzungen für die Einstellung der Zwangsvollstreckung vor. Nach § 257 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 40 Abs. 8 SGB II sowie § 5 Abs. 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG) sei ...

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