Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger hier Spanien. Europarechtskonformität. Europäisches Fürsorgeabkommen. Wirksamkeit des Vorbehalts der Bundesregierung zur Anwendung des SGB 2. Grundsicherung für Arbeitsuchende: Zulässigkeit des gesetzlichen Leistungsausschlusses für EU-Ausländer. Folgenabwägung im sozialgerichtlichen Eilverfahren

 

Orientierungssatz

1. Der Ausschluss des Leistungsbezugs für Grundsicherungsleistungen in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 auch für EU-Ausländer steht nicht im Widerspruch zu geltendem Europa- oder Völkerrecht. Insoweit ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über vorläufige Leistungsgewährung keine Folgenabwägung vorzunehmen, die im Regelfall zu einer vorläufigen Leistungsgewährung bis zum Abschluss der Hauptsache führen würde (entgegen LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27. April 2012, Az.: L 14 AS 763/ 12 B ER). Denn bei der Grundsicherungsleistung für Arbeitsuchende handelt es sich nicht um eine Leistung zur sozialen Sicherung im europarechtlichen Sinne.

2. Ein durch ein Stipendium finanzierten Praktikum eines EU-Ausländers in Deutschland stellt keine Erwerbstätigkeit dar, aus der sich ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht und in diesem Zusammenhang auch ein Leistungsanspruch auf Grundsicherungsleistungen ergeben kann.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2012 wird, auch soweit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit ab Mai 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1979 geborene Antragstellerin ist spanische Staatsangehörige. Nach einem Studium für Bildende Kunst in London, das sie im Juni 2009 mit einem Bachelor abschloss, zog sie im Juli 2010 nach Berlin. Ab August 2010 absolvierte sie ein elfmonatiges Praktikum bei dem “a a k„ e. V. in Berlin, das durch ein Stipendium gefördert wurde. Seit Beendigung des Praktikums am 14. Juni 2011 ist die Antragstellerin arbeitslos.

Unter dem 16. Januar 2012 stellte ihr das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU aus. Als Zeitpunkt der Anmeldung war der 2. Juni 2011 festgehalten.

Am 17. Januar 2012 beantragte sie bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und gab an, dass sie so schnell wie möglich eine passende Arbeitsstelle finden möchte und seit Juli 2011 bis auf ein Geldgeschenk ihrer Eltern in Höhe von 300 Euro über keine Einkünfte verfüge.

Mit Bescheid vom 7. Februar 2012 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20. April 2012 bewilligte der Antragsgegner für die Zeit vom 17. Januar 2012 bis 30. April 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Den Weitergewährungsantrag der Antragstellerin vom 19. April 2012 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 20. April 2012 ab. Da sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, sei sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen.

Unter dem 2. Mai 2012 legte die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20. April 2012 Widerspruch ein.

Am 4. Mai 2012 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden sollte, ihr mindestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mindestens in Höhe des durch das Gericht zu bestimmenden, zum Lebensunterhalt unabweisbaren Betrags, hilfsweise als Darlehen zu gewähren. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei nicht anwendbar. Sie könne sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) als unmittelbar geltendes Bundesrecht berufen. Durch den von der Bundesregierung zum EFA erklärten Vorbehalt vom 19. Dezember 2011 hinsichtlich der Anwendung des SGB II könne das EFA als unmittelbar geltendes Bundesrecht nicht für unwirksam erklärt werden. Vielmehr hätte es zur wirksamen Erklärung eines Vorbehalts eines entsprechenden Gesetzgebungsverfahrens bedurft.

Mit Beschluss vom 29. Mai 2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass keine Bedenken hinsichtlich der völkerrechtlichen Wirksamkeit der Vorbehaltserklärung der Bundesregierung bestünden, mit der diese mit Wirkung vom 19. Dezember 2011 gemäß Art. 16 b EFA einen Vorbehalt bezüglich der Anwendung des SGB II erklärt habe. Aufgrund dessen stehe spanischen Staats...

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