Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Betriebsweg. Begründung des Bescheids. Feststellungsklage. Rechtsverhältnis. Elementenfeststellung

 

Leitsatz (amtlich)

Versicherte haben - neben einer Entscheidung über einen Versicherungsfall - keinen Anspruch auf ausdrückliche Feststellung durch den Unfallversicherungsträger darauf, dass ein Fall des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII (Wegeunfall) vorliegt.

Ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung ergibt sich nicht aus dem eingeschränkten Haftungsprivileg aufgrund § 105 SGB VII, das dem verletzten Versicherten den Rechtsstreit gegen den Schädiger auf Schadensersatz und Schmerzensgeld eröffnet. Eine Bindungswirkung für die Zivilgerichte (und Arbeitsgerichte) an eine unanfechtbare Entscheidung des Unfallversicherungsträgers besteht nur dahin, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind, ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist bzw der Verletzte versicherter Beschäftigter oder Wie-Beschäftigter ist.

 

Normenkette

SGB VII § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1, § 108 Abs. 1; SGB I § 31; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 14.10.2016 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in beiden Instanzen. Sonst sind außergerichtliche Kosten in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Arbeitsunfall oder einen “Wegeunfall„ erlitten hat (Berufung der Klägerin) und ob die Beklagte berechtigt ist, hierzu Feststellungen zu treffen (Berufung der Beklagten).

Die Klägerin ist bei der Firma E. K. AG D. (künftig Arbeitgeber) beschäftigt. Sie wurde am 14.05.2013, 5:05 Uhr, nach dem Ende ihrer Arbeitsschicht auf dem parallel der M.-Straße verlaufenden Gehweg von einem ebenfalls beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer (B. Y., künftig Beigeladene), der sich nach dem Ende der Arbeitsschicht mit seinem Pkw von einem Firmen-Parkplatz über den Gehweg zur M.-Straße fahrend auf den Heimweg machte, angefahren. Dabei zog sich die Klägerin eine Prellung des Rumpfes/der Schulter zu (Durchgangsarztbericht vom 14.05.2013, Unfallanzeige vom 07.05.2013). Der Unfallort befindet sich auf dem Firmengelände des Arbeitgebers (erster Parkplatz vor dem Hauptportal - Polizeibericht Blätter 16, 19 Beklagten-Akte). Die (in Blickrichtung Bad U. ) von nordwestlichen nach südöstlich verlaufende) M.-Straße ist von der parallel verlaufenden U. Straße durch einen Grünstreifen und Zaun abgegrenzt. Die durch das Firmengelände führende M.-Straße endet am südöstlichen Bereich des Firmengeländes des Arbeitgebers ohne Durchfahrtsmöglichkeit. Südwestlich des Firmengeländes verläuft ein Bahngleis (mit Zaunabgrenzung). Der Bereich des Firmengeländes mit Produktionsgebäude und die Zufahrt für Lkw‚s mit Freifläche grenzt in südöstlicher Richtung (Richtung Bad U. ) an die S.Straße. Am Beginn des Firmengeländes des Arbeitgebers kann die Zufahrt zur M.-Straße durch ein Schiebetor verschlossen werden, das zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin am 14.05.2013 geöffnet war (zum Vorstehenden Ausdrucke Google Maps, Blätter 36 bis 38 der Senatsakten, Blätter 16 bis 17 SG-Akte, Blatt 22 Beklagtenakte). Der Parkplatz des Unfallortes ist durch ein nicht amtliches Verkehrszeichen beschildert (Blätter 15, 17 SG-Akte, Blatt 77 Beklagtenakte).

Die Klägerin erhob gegen den Beigeladenen beim Landgericht Tübingen Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Mit Urteil vom 13.01.2015 wies das Landgericht Tübingen die Klage wegen des Haftungsprivilegs ab (5 O 158/14). Hiergegen legte die Klägerin beim Oberlandesgericht Stuttgart Berufung ein (4 U 24/15), die vom Oberlandesgericht Stuttgart im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit am 13.05.2015 mit Beschluss ausgesetzt wurde (Niederschrift vom 13.05.2015 - Blätter 37 bis 39 Beklagtenakte).

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.02.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung, dass es sich bei dem Unfall vom 14.05.2013 um einen versicherten Wegeunfall nach §§ 105 Abs. 1, 8 Abs. 2 SGB VII handele.

Auf ein Hinweisschreiben der Beklagten an den Beigeladenen vom 09.06.2015 äußerte sich dieser durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21.07.2015 gegenüber der Beklagten. Er machte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles (Betriebswegeunfall) geltend und verneinte das Vorliegen eines Wegeunfall.

Mit Bescheid vom 24.09.2015 erkannte die Beklagte den Unfall vom 14.05.2013 “als Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII„ an (1.) und lehnte wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls einen Anspruch auf Rente ab (2.). Zur Begründung wurde ausgeführt, es liege kein Wegeunfall gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vor, sondern ein Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht um wenigstens 20 % gemindert. Als Folge des Arbeit...

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