Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittel. Medizinal-Cannabisblüten zur Behandlung einer akuten intermittierenden Porphyrie. Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs 2 BtMG (juris: BtMG 1981). Empfehlungsvorbehalt des G-BA nach § 135 Abs 1 S 1 SGB 5. kein Off-Label-Use. kein Systemversagen. keine lebensbedrohliche Erkrankung

 

Orientierungssatz

1. Eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs 2 BtMG (juris: BtMG 1981) zum Erwerb eines Betäubungsmittels (hier: Medizinal-Cannabisblüten zur Behandlung einer akuten intermittierenden Porphyrie) ersetzt nicht die vom G-BA nach § 135 Abs 1 S 1 SGB 5 zu treffende Empfehlung, welche Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist.

2. Es existiert kein in Deutschland zugelassenes Fertigarzneimittel, das lediglich (naturbelassene) Medizinal-Cannabisblüten enthält. Mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung scheidet somit ein sog "Off-Label-Use", also die zulassungsüberschreitende Anwendung, von vornherein aus (vgl BSG vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R).

3. Zum Krankheitsbild der Porphyrie liegen bereits umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse vor, sodass ein Systemversagen in Anlehnung an § 2 Abs 1 S 3 SGB 5 nicht vorliegen kann. Ein Seltenheitsfall ist auch bei einer Kombination von Porphyrie und Epilepsie nicht gegeben.

4. Weder die Epilepsie noch die Porphyrie stellen akut lebensbedrohliche Erkrankungen dar. Die potentielle Gefahr, dass durch eine Porphyrie-Attacke möglicherweise ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten kann, genügt für die Annahme einer Notstandssituation iSd § 2 Abs 1a S 1 SGB 5 nicht.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten, die ihm für den Erwerb von Medizinal -Cannabisblüten entstanden sind, sowie die zukünftige Versorgung mit Medizinal -Cannabisblüten.

Der am 1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied gesetzlich krankenversichert. Er leidet an spastischer Tetraparese , akuter intermittierender Porphyrie mit hieraus resultierenden Schmerzzuständen und einer Grand-Mal-Epilepsie. Am 26. November 2008 erteilte ihm das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Erwerb von Cannabis (Medizinal -Cannabisblüten) der Sorten Betrocan, Betrobinol und Bediol mit einer jeweils für die Dauer von vier Wochen festgesetzten Höchstmenge an Tetrahydrokanabinol (THC) . Die Erlaubnis ist an den betreuenden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Ha. und die abgebende Post-Apotheke in T. gebunden.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage der genannten Erlaubnis die Übernahme der Kosten für Medizinal -Cannabis, was die Beklagte mit Bescheid vom 20. Mai 2009, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, ablehnte.

Der Kläger hielt an seinem Begehren fest. Zur Behandlung seiner akuten intermittierenden Porphyrie sei natürliches Cannabis das einzige medizinisch vertretbare Antiepileptikum , Analgetikum und Antikonvulsivum . Er begehre naturbelassene Cannabisblüten, da die hieraus extrahierte Droge THC für ihn keinen Nutzen habe. Er habe im August 2003 nach der Einnahme von THC seinen bislang letzten epileptischen Anfall gehabt. Seither verwende er ausschließlich natürliche Hanfblüten in Verbindung mit vitaminreicher Nahrung. Auf Experimente mit anderen Präparaten lasse er sich nicht mehr ein, da ihm Nachweise für deren Verträglichkeit fehlten. Unmittelbar nach der operativen Ausräumung einer Hirnblutung im Oktober 1993 sei ihm Phenhydan verabreicht worden. Aufgrund des Anstiegs der Leberwerte sei er dann auf Tegetral eingestellt worden, welches erst nach der Diagnose der akuten intermittierenden Porphyrie abgesetzt worden sei. Zwischen 2000 und 2008 habe er eine niedrig dosierte Opiumtinktur gegen abdominale Koliken erhalten. Cannabis werde seit vielen Jahrhunderten als einziges medizinisch und ethisch vertretbares Mittel gegen Epilepsie angewandt.

Der Kläger reichte der Beklagten ärztliche Unterlagen ein. Arzt für Naturheilverfahren Dr. Sc. führte in einem Attest vom 12. Juli 1995 aus, beim Kläger bestehe nach einer Hirnblutung im Oktober 1993 eine Tetraparese mit Spastik und ein Anfallsleiden. Seither sei es zu zwei Grand-Mal-Anfällen gekommen. Das Antiepileptikum Tegretal (Karbamazepin) habe zu massiven Nebenwirkungen geführt, so dass es habe abgesetzt werden müssen. Es sei eine Porphyrie diagnostiziert worden, bei der Arzneieinnahmen mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden seien. Der Kläger habe seit drei Monaten THC in Form von Marihuana-Zigaretten zu sich genommen, ohne dass seither ein epileptischer Anfall aufgetreten sei. Er habe unter der Wirkung von THC ein deutliches Nachlassen seiner spastischen Erscheinungen empfunden. Die muskelrelaxierende und antikonvulsible Wirkung von THC sei ...

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