Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. zweistufige Kausalitätsprüfung. naturwissenschaftliche Kausalität. Wertung. Anlageleiden in den Segmenten L1/2 und L2/3. Nachweis. Wahrscheinlichkeit. traumatischer Bandscheibenvorfall an der LWS im Segment L3/4. ohne Begleitverletzung. keine Heranziehung des unfallmedizinischen Standardwerkes in der Kausalitätsprüfung

 

Orientierungssatz

1. Zur Anerkennung eines Bandscheibenvorfalls an der Lendenwirbelsäule (Segment L3/4) ohne Begleitverletzungen als Folge eines Arbeitsunfalls bei einem Versicherten, der anlagebedingt an fortgeschrittenen Bandscheibendegenerationen in den Segmenten L 1/2 und L2/3 leidet.

2. Die gegenteiligen Ausführungen von Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 434 und 436 - selbst wenn sie den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben würden - können der Kausalitätsprüfung aus Rechtsgründen nicht zu Grunde gelegt werden, weil dort nicht zwischen den nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu trennenden zwei Stufen der Kausalitätsprüfung unterschieden wird und die der - ohnehin dem juristischen Betrachter vorbehaltenen - wertenden Entscheidung zu Grunde liegenden Kriterien, ob das Unfallereignis wesentlich war, nicht erkennbar sind.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.07.2012; Aktenzeichen B 2 U 23/11 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.08.2009 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 19.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.08.2007 abgeändert.

Als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 19.12.2006 wird festgestellt:

Operierter Bandscheibenvorfall L3/4.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Feststellung einer weiteren Unfallfolge.

Der Kläger leidet ca. seit seinem 20. Lebensjahr an Rückenschmerzen. Wegen Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) gab er im Jahr 1992 seine Tätigkeit als Gießereiarbeiter auf und ließ sich zum Feinmechaniker umschulen. Seit dem Jahr 1999 ist der Kläger bei der Fa. R. L. GmbH - zuletzt in der Qualitätssicherung - beschäftigt. Unter anderem wegen eines chronisch rezidivierenden Lumbal- und Zervikalsyndroms mit pseudoradikulärer Symptomatik wurde dem Kläger im Jahr 2002 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme gewährt (Entlassungsbericht von Prof. Dr. R.-B.). Der Kläger wurde auch nach dieser Maßnahme regelmäßig ambulant wegen Beschwerden an der Wirbelsäule behandelt. Im Februar 2005 wurden Röntgenaufnahmen und eine Computertomographie der LWS angefertigt. Dabei zeigte sich keine sichere Bandscheibenvorwölbung.

Am 19.12.2006 erlitt der damals ca. 100 kg schwere und 186 cm große Kläger einen Arbeitsunfall. Er rutschte von einer Stufe in Höhe von ca. 30 bis 40 cm aus und traf mit dem linken Fuß auf den Boden auf. Trotz Schmerzen arbeitete der Kläger unter Selbstmedikation noch bis zum 21.12.2006 weiter. An diesem Tag musste er die Arbeit schmerzbedingt abbrechen. Er stellte sich im Kreiskrankenhaus Waiblingen beim Durchgangsarzt Dr. E. K. vor, der eine Distorsion der LWS und des linken Beckens diagnostizierte. Da die Beschwerden weiter zunahmen, wurde der Kläger am 22.12.2006 stationär im Kreiskrankenhaus Waiblingen aufgenommen. Bei der am gleichen Tag durchgeführten Computertomographie stellte sich ein frischer lateraler Bandscheibenvorfall im Segment L3/4 (nachfolgend nur noch: Bandscheibenvorfall) mit Kompression der Nervenwurzel jedoch ohne Fraktur dar (Arztbrief des Chefarztes der Radiologie des Kreiskrankenhauses Waiblingen Dr. W.). Dieser Bandscheibenvorfall wurde Anfang Januar 2007 mikrochirurgisch im K. St. beseitigt (Entlassungsbericht des Ärztlichen Direktors der neurochirurgischen Klinik Prof. Dr. H.). Es schlossen sich eine stationäre Anschlussheilbehandlung in den Fachkliniken H. (Entlassungsbericht des Chefarztes Prof. Dr. H.) und ambulante Nachbehandlungen an. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers endete am 10.04.2007.

Auf der Grundlage einer Unfallanzeige der Arbeitgeberin, der Berichte von Dr. E. K. nebst dem radiologischen Befundbericht von Dr. W. sowie der Verlaufsberichte der behandelnden Chirurgin und Sportmedizinerin Dr. Z. stellte die Beklagte im Bescheid vom 19.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2007 das Vorliegen eines Arbeitsunfalls und als dessen Folgen eine Zerrung der LWS und des linken Beckens fest. Die Anerkennung des Bandscheibenvorfalls als Unfallfolge lehnte sie genauso wie die Gewährung von Leistungen nach dem 21.12.2006 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Zerrungen seien am 21.12.2006 folgenlos ausgeheilt gewesen. Vorwölbungen der Bandscheibe seien Folge einer langsamen Zermürbung. Isolierte traumatische Bandscheibenverletzungen ohne knöcherne Beteiligung seien fast unmöglich. Bei dem Unfallereignis handle es sich um eine Gelegenh...

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