Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Gewährung eines Hilfsmittels ≪hier Hörgerät≫ zum Festbetrag. Erfüllung der Leistungspflicht. Verfassungsmäßigkeit der Festbetragsbestimmungen

 

Orientierungssatz

1. Gewährt eine Krankenkasse dem Versicherten den einschlägigen Festbetrag für ein in Rede stehendes Hilfsmittel (hier: Hörgerät), hat sie ihre Leistungspflicht aus § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 gemäß § 12 Abs 2 SGB 5 erfüllt. Abgesehen von Fällen der Unwirksamkeit einer Festbetragsfestsetzung als solcher kommt eine abweichende Bestimmung der Leistungspflicht nur im Sonderfall des so genannten Systemversagens in Betracht.

2. Die Bestimmungen zur Festsetzung von Festbeträgen sind verfassungsgemäß und gültig (vgl BVerfG vom 17.12.2002 - 1 BvL 28/95 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.12.2009; Aktenzeichen B 3 KR 20/08 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8.2.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung der den einschlägigen Festbetrag übersteigenden Kosten für ein (digitales) Hörgerät.

Der 1982 geborene Kläger, bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, beantragte mit einem bei der Beklagten (erstmals) am 2.1.2004 eingegangenen Schreiben (Fax) die Versorgung mit einem digitalen Hörgerät. Zur Begründung führte er aus, er werde ein Praktikum absolvieren und sodann ein Studium aufnehmen. Deshalb sei notwendig, dass er mit dem digitalen Hörgerät noch vorhandene Hörreste nutzen könne. Er bitte, die Kosten für diese speziellen Hörgeräte zu übernehmen (Verwaltungsakte S. 2). Auf Anforderung der Beklagten durch Schreiben vom 12.1.2004 - im Betreff mit "Ihr Antrag auf Kostenübernahme eines digitalen Hörgeräts" überschrieben - legte der Kläger mit Fax vom 17.1.2004 eine Verordnung der HNO-Ärztin Dr. W vom 16.2.2004 und einen Kostenvoranschlag der Firma S und S (S. u. S.) vom 28.11.2003 vor; danach entstünden für das Hörgerät Digi Focus II Super Power (rechts und links) Gesamtkosten in Höhe von 4.240,08 €.

Das Hörgerät war dem Kläger im November 2003 angepasst worden. Dazu führte die Firma S. u. S. im Anpassungsbericht vom 19.6.2006 (SG-Akte S. 31) aus, im Rahmen der vergleichenden Anpassung habe man vier Hörgeräte ausgewählt. Es handele sich um die Geräte Oticon Sumo (leistungsstarkes analoges Hörsystem mittlerer Preislage), Widex Bravo B 32 (leistungsstarkes digitales Hörsystem oberer Preisklasse), Phonak Super Ftont PP-C-L-4 (leistungsstarkes analoges Hörsystem, zuzahlungsfrei zum Krankenkassenfestbetrag) und Oticon Digi-Focus 2 Super-Power (leistungsstarkes digitales Hörsystem der oberen Preisklasse). Auf Grund des starken Hörverlustes des Klägers sei eine Dokumentation durch eine Freifeldmessung mit Einsilbern (Freiburger Sprachtest) nicht möglich gewesen. Die Hörsystemeinstellungen seien jeweils mit In-situ-Messungen nach den subjektiven Angaben des Klägers überprüft worden. Dieser habe die Hörsysteme nach ihrem individuellen Klangbild sowie der Möglichkeit, einer Unterhaltung folgen zu können, beurteilt. Während der Anpassung sei es mit den Hörsystemen der Firmen W und P zu Rückkopplungen gekommen. Lediglich die Systeme der Firma O (Sumo und Digi-Focus 2 Super-Power) hätten über eine wirkungsvolle Rückkopplungsunterdrückung verfügt und hätten problemlos angepasst werden können. Auf Grund der besseren Verständlichkeit in der Unterhaltung und des angenehmeren Klangbildes habe sich der Kläger für das in Rede stehende System entschieden.

Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Hamburg (MDK). Der HNO-Arzt Dr. B führte unter dem 25.3.2004 aus, beim Kläger liege Hörtestigkeit beidseits vor. Die vorhandenen Geräte seien technisch verbraucht, sodass keine ausreichende Verständigung mehr verfügbar gewesen sei. Die Neuversorgung erhalte das Richtungsgehör und verbessere das Ablesen vom Mund des jeweiligen Gesprächspartners. Diese Eigenschaften würden auch durch Festbetragsgeräte erreicht. Die Kostenübernahme für Geräte der Gruppe 3 werde befürwortet (Verwaltungsakte S. 13).

Mit Schreiben vom 6.4.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Kosten für die Hörgeräteversorgung zum Kassensatz für die Gruppe 3 werde genehmigt. Den genehmigten Kostenvoranschlag habe man der Firma S. u. S. zugeschickt.

Mit Schreiben vom 27.10.2004 legte der Kläger der Beklagten eine Rechnung der Firma S. u. S. vom 26.5.2004 über 2 Hörgeräte Digi Focus II Super Power zum Preis von 4.162,06 € vor. Vom Rechnungsbetrag waren als Leistung der Beklagten 987,31 € abgezogen; es werde gebeten, die restlichen Kosten von 3.073 € zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 22.12.2004 lehnte die Beklagte die Übernahme weiterer Kosten unter Hinweis auf Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und der medizinischen Notwendigkeit ab.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, zum Nachweis der Eignung und Wirtschaftl...

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