Entscheidungsstichwort (Thema)

Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Zuständigkeitsklärung. Anerkennung der Zuständigkeit durch den erstangegangenen Rehabilitationsträger. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. kein abgeschlossener Leistungskatalog. Unterbringung eines erwachsenen behinderten Menschen in einer Pflegefamilie. Art und Maß der Leistungserbringung. Ermessensausübung. Vorrang von Geldleistungen. Heranziehung für den Wohnsitz des behinderten Menschen geltender Richtlinien zur Bemessung des Betreuungsgeldes. Analoge Anwendung jugendhilferechtlicher Bestimmungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers iS des § 14 SGB 9 gegenüber dem Leistungsempfänger kann sich daraus ergeben, dass dieser seine Zuständigkeit anerkennt.

2. Der Leistungskatalog des § 54 Abs 1 SGB 12 iVm § 55 SGB 9 ist nicht abgeschlossen und umfasst auch die Betreuung eines erwachsenen behinderten Menschen in einer Pflegefamilie.

3. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Sozialhilfeträger zur Bemessung der Höhe eines Betreuungsgeldes als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB 12 betreffend die Betreuung eines erwachsenen behinderten Menschen in einer Pflegefamilie auf am Wohnsitz des behinderten Menschen bestehende Richtlinien zur Bemessung des Betreuungsgeldes zurückgreift. Eine analoge Anwendung der jugendhilferechtlichen Bestimmung des § 39 SGB 8 kommt bei der Unterbringung und Betreuung erwachsener behinderter Menschen nicht in Betracht.

 

Normenkette

SGB XII § 53 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 1, § 64 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 17 Abs. 2, § 19 Abs. 3; SGB XI § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 1; SGB VIII § 39; SGB IX § 14 Abs. 1-2

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. Dezember 2013 wie folgt abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 26. Oktober 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2011 und des Bescheids vom 10. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. November 2011 verurteilt, der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Gestalt eines Betreuungsgeldes in Höhe von monatlich weiteren 14,00 Euro für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2009 und von monatlich weiteren 28,00 Euro für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2011 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) in Form eines pauschalierten Betreuungsgeldes für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 streitig.

Die Klägerin wurde 1986 in S. in der ehemaligen DDR geboren. Mit “vorläufiger Verfügung„ des Rates des Kreises S. (Referat Jugendhilfe) vom 28. Mai 1986 wurde ihre sofortige Heimerziehung und der vorerst weitere Verbleib in der Klinik S. angeordnet. Sie wurde am 9. September 1986 im Heim S. und am 2. Oktober 1989 in das Heim S. aufgenommen. Im Rahmen einer bundesweiten Suche nach einer Pflegefamilie für die Klägerin wurde diese am 8. August 1996 in den Haushalt der Pflegefamilie R. und G.S. in O. aufgenommen. Der Landkreis S. - Jugendamt - schloss mit R. und G. S. einen Pflege- und Erziehungsvertrag über die Dauerpflege der Klägerin. Das Jugendamt verpflichtete sich, an die Pflegefamilie ein Pflegegeld sowie einen Erziehungsbeitrag zu zahlen, die durch gesonderten Bescheid festgesetzt werden sollten. In dem Vertrag war geregelt, dass das Pflegeverhältnis ohne Kündigung ende, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung öffentlicher Jugendhilfe nicht mehr vorliegen. Der Landkreis S. bzw. der Landkreis S. gegen Kostenerstattung seitens des Landkreises S. (§§ 86 Abs. 6, 89a Abs. 1 Sozialgesetzbuch ≪SGB≫ Achtes Buch ≪VIII≫ - Kinder- und Jugendhilfe - ≪SGB VIII≫) erbrachten Jugendhilfeleistungen gem. §§ 35 a, 41 SGB VIII, insbesondere auch Leistungen zum Unterhalt der Klägerin nach § 39 SGB VIII bis zum 21. Mai 2007 (vgl. Bescheid des Beigeladenen vom 8. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2007), zuletzt einen Grundbedarfssatz in Höhe von 582,00 Euro, einen Betrag zur Alterssicherung in Höhe von 39,00 Euro und für die Kosten der Erziehung 230,00 Euro zuzüglich eines erhöhten Erziehungszuschlages von 690,00 Euro.

Bei der Klägerin sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen “G„ und “H„ festgestellt. Nach einem Abschluss der Sonderschule für geistig Behinderte besuchte die Klägerin von August 2004 bis August 2007 die hauswirtschaftliche Sonderberufsfachschule S. Seit dem 5. September 2007 besuchte sie zunächst den Eingangs- und ab 5. Dezember 2007 den Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), ab 5. Dezember 2009 ist sie im Arbeitsbereich einer WfbM beschäftigt.

Bei der Klägerin liegt eine g...

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