Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufskrankheit. haftungsausfüllende Kausalität. Intoxikation. Holzschutzmittel

 

Orientierungssatz

1. Zur Nichtanerkennung von neurotoxischen Störungen als Berufskrankheit gemäß BKVO Anl 1 Nr 1302 bzw gemäß BKVO Anl 1 Nr 1310 mangels Vorliegens eines MCS-Syndroms (multiple chemical sensitivities).

2. Nach dem medizinischen Schrifttum ist eine beruflich bedingte toxische Enzephalopathie dann wahrscheinlich, wenn ein Arbeitnehmer mindestens zehn Jahre lang einer erheblichen beruflichen Lösungsmittelexposition ausgesetzt war.

3. Eine akute Vergiftung, die die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfüllt, ist beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ebenfalls als Berufskrankheit zu behandeln, weil § 551 RVO grundsätzlich lex specialis gegenüber § 548 RVO ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.09.1998; Aktenzeichen B 2 U 148/98 B)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger beim Ausbau eines Kellerraumes in seinem Eigenheim eine Berufskrankheit (BK) erlitten und ihm die Beklagte im Wege eines Rücknahmebescheides Verletztenrente zu gewähren hat.

Der 1936 geborene Kläger war von 1950 bis 1956 bei der Post, anschließend bis 1964 beim Bundesgrenzschutz und danach bis 1978 beim Kreiswehrersatzamt beschäftigt. Seit 1978 arbeitete er bei der Wehrbereichsverwaltung S. in der Sektion Arbeitsschutz. In den Jahren 1969/1970 führte er an seinem steuerbegünstigten Eigenheim in W. Selbsthilfearbeiten aus, wobei er u.a. auch einen Kellerraum ausbaute.

Mit einer Unfall- und BK-Anzeige vom 03.07.1979 machte der Kläger gegenüber der Beklagten eine schwere Vergiftung (Dauerintoxikation) geltend, die er als Bauherr im eigengenutzten Einfamilienhaus beim Ausbau eines Raumes im Untergeschoß erlitten habe. Er gab an, etwa zwei Wochen vor dem Erkrankungsausbruch am 04.10.1970 habe er im Freien mehrfach Profilholz mit dem pentachlorphenol(PCP)-haltigen Holzschutzmittel "Xyladecor" imprägniert, wobei er - soweit erinnerlich - Gummihandschuhe getragen habe. Anschließend habe er dieses Holz an der Decke des Raums im Untergeschoß angebracht. Danach habe er ca. drei Stunden täglich vom 25.09. bis 03.10.1970 weitere Ausbauarbeiten in dem schlecht belüftbaren Raum durchgeführt (Schreiben an die Firma D. Holzschutz GmbH vom 30.06.1978). Er vertrat die Ansicht, das frisch imprägnierte Holz dürfte erhebliche Mengen an PCP freigesetzt haben, so daß es bei ihm während der Arbeit in diesem Raum zu einer Dauerintoxikation gekommen sei, die schließlich am 04.10.1970 zu einer schweren Vergiftung geführt habe. In einer Aufstellung vom 05.07.1979 machte er zahlreiche Erkrankungen als Folgen der im Oktober 1970 erlittenen PCP-Vergiftung geltend und legte mehrere Berichte und Rechnungen über ärztliche Behandlungen seit 1970 vor.

Die Beklagte ermittelte bei der Firma D. die Zusammensetzung der Holzschutzmittel Xyladecor und Xylamon. Anschließend bat der Staatliche Gewerbearzt beim Gewerbeaufsichtsamt S. Privatdozent (PD) Dr. C., Leitender Arzt der Toxikologischen Abteilung an der II. Medizinischen Klinik rechts der I. M., um die Erstattung eines Gutachtens, das dieser am 22.08.1980 unter Mitarbeit von Oberarzt (OA) Dr. D. (Internist) und Dr. K. erstattete. Bei der dortigen Untersuchung vom 30.06. bis 03.07.1980 gab der Kläger an, er habe etwa zwei Wochen vor Beginn seiner Erkrankung im Freien ca. 20 qm Profilbretter mit dem PCP-haltigen Holzschutzmittel Xyladecor zweimal gestrichen; etwa zehn Tage lang habe er dann diese Bretter in dem vorgesehenen Kellerraum montiert. Am 04.10.1970 morgens um 4.30 Uhr sei dann plötzlich ein mehrmaliges galliges Erbrechen aufgetreten; er habe außerdem einen Kreislaufkollaps erlitten und Kopfschmerzen bekommen. Der Gutachter wies auf die am 09.08.1978 beim Kläger vom Bundesgesundheitsamt durchgeführten PCP-Messungen hin und führte aus, auf internistischem und neurologisch-psychiatrischem Gebiet habe beim Kläger kein krankhafter Befund erhoben werden können. Bei der Symptomatik im Oktober 1970 habe es sich am ehesten um ein akutes Krankheitsbild des Oberbauches (Cholangitis) gehandelt. Bei einer vergiftungsbedingten Symptomatik wäre zu erwarten gewesen, daß diese am Ende der Exposition - zum Zeitpunkt der maximalen Vergiftung - aufgetreten wäre. Ein inhalatorisch aufgenommenes PCP führe zu einer Reizung der Atemwege und Augen, und nicht zu einer gastrointestinalen Symptomatik, wie sie nach einer oralen Giftaufnahme möglich sei. Die wiederholt nachgewiesenen stark erhöhten ASL-Werte (Antistreptolysintiter) bewiesen einen chronischen bakteriellen Infekt, der niemals durch PCP-Inhalation verursacht werden könne. Zwischen dem jetzigen Beschwerdebild einer allgemeinen Schwäche, Verdauungs- und Konzentrationsstörungen und der PCP-Exposition bestehe kein ursächlicher Zusammenhang. Dr. M. verneinte hierauf in einer Stellungnahme vom 24.09.1980 eine BK nach Nr. 1302 und 1303 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO).

Die Beklagte erhob ein weiteres Gutachten bei Prof. Dr. V., Direktor des Instituts für Arbeits...

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