Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Verhältnis von sozialhilferechtlichen Pflegegeld, Bundes- und Landesblindenhilfe. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das sozialhilferechtliche Pflegegeld nach § 64 SGB 12 ist gegenüber der Landesblindenhilfe und der Bundesblindenhilfe im Umfang der pauschalen Anrechnungsregelung des § 66 Abs 1 S 2 SGB 12 nachrangig. Nach dem Grundsatz der Spezialität vorrangige Leistung ist die einkommens- und vermögensunabhängig gewährte Landesblindenhilfe. Die Bundesblindenhilfe ist aufstockend zu gewähren, soweit die Höhe der Landesblindenhilfe die Beträge des § 72 Abs 2 SGB 12 nicht erreicht. Weitergehende Anrechnungen zwischen den drei Leistungsarten sind ausgeschlossen.

2. Zum Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Bereich der Sozialhilfe.

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. November 2005 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 3. Februar und 11. April 2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 2005 Pflegegeld in Höhe von 459,90 Euro, Landesblindenhilfe in Höhe von 204,52 Euro und Bundesblindenhilfe in Höhe von 88,48 Euro (Zahlbetrag insgesamt 752,90 Euro) zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe die zuerkannten Leistungen des Pflegegeldes nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), der Landesblindenhilfe sowie der Blindenhilfe nach dem SGB XII aufeinander anzurechnen sind.

Der am ... 1998 geborene Kläger leidet seit einem am ... 1999 erlittenen häuslichen Ertrinkungsunfall mit Reanimation an einer schweren globalen geistigen Beeinträchtigung mit kortikaler Blindheit; er liegt im Wachkoma. Der Kläger ist im Besitz eines vom Versorgungsamt F. am 27. April 2000 ausgestellten, seit 3. November 1999 gültigen und derzeit bis Februar 2007 verlängerten Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Merkzeichen “G„, “aG„, “Bl„, “H„, “RF„ und “B„. Der Kläger lebt im Haushalt seiner Mutter, die alleinstehend ist; beide bezogen bis 31. Dezember 2004 von der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Dem Kläger gewährte die Beklagte bis dahin außerdem als Hilfe in besonderen Lebensunterlagen laufend Hilfe zur Pflege (§§ 68, 69 BSHG) in Form eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe III von zuletzt 665,00 Euro sowie von Pflegehilfsmitteln von zuletzt 31,00 Euro (vgl. Bescheid vom 16. September 2004). Seit 1. Januar 2005 werden vom zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) gewährt, nachdem zuvor durch Bescheid vom 1. Dezember 2004 die Hilfe zum Lebensunterhalt zum Ablauf des 31. Dezember 2004 eingestellt worden war.

Ab 1. März 2000 hatte der seinerzeit als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zuständige Landeswohlfahrtsverband Baden (LWV) dem Kläger durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 10. Januar 2003 Blindenhilfe nach dem Gesetz über die Landesblindenhilfe in Baden-Württemberg (LBlindG) gewährt, wobei sich - unter Anrechnung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe II (800 DM/410,00 Euro) mit einem Vomhundertsatz von 20 - ab 1. März 2000 monatliche Zahlbeträge von 240,00 DM sowie ab 1. Januar 2002 von 122,52 Euro ergaben.

Seit 1. Januar 2005 ist die Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe für die Aufgaben nach dem LBlindG zuständig. Bereits am 28. Dezember 2004 wurde von der Beklagten die Landesblindenhilfe für den Monat Januar 2005 angewiesen. Durch Bescheid vom 3. Februar 2005 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1. Januar 2005 Hilfe zur Pflege in Höhe von insgesamt 610,24 Euro, und zwar Pflegegeld nach der Pflegestufe III sowie Pflegehilfsmittel (31,00 Euro), wobei sich die Kürzung aus der Anrechnung der Landesblindenhilfe mit 85,76 Euro ergab, und außerdem Landesblindenhilfe in Höhe von 122,52 Euro (Gesamtbetrag 732,76 Euro). Mit seinem am 28. Februar 2005 eingelegten Widerspruch wandte sich der Kläger u.a. gegen die Kürzung der Landesblindenhilfe und des Pflegegeldes. Auf den im Februar 2005 gestellten Antrag auf Bundesblindenhilfe bewilligte die Beklagte ferner durch Bescheid vom 11. April 2005 rückwirkend ab 1. Januar 2005 Blindenhilfe nach § 72 SGB XII in Höhe von monatlich 23,98 Euro, wobei die Landesblindenhilfe mit 122,52 Euro und das Pflegegeld mit 146,50 Euro in Abzug gebracht war; sie kürzte darüber hinaus die Hilfe zur Pflege wegen der Anrechnung sowohl der Landesblindenhilfe (mit 85,76 Euro) als auch der Bundesblindenhilfe (mit 16,79 Euro) auf monatlich 593,45 Euro. Der monatliche Zahlbetrag der Leistungen ab 1. Januar 2005 belief sich nunmehr auf insgesamt 739,95 Euro. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger wegen der vorgenommenen Anrechnungen am 28. April 2005 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2005...

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