Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Unterbrechung des versicherten Weges. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Abbremsen des PKW auf der Straße. Abbiegen in eine Parkbucht. Lesen von SMS-Nachrichten auf einem privaten Handy. subjektive Vorstellung: mögliche dienstliche SMS. verkehrsgerechtes Verhalten gem § 23 Abs 1a S 1 StVO

 

Leitsatz (amtlich)

Das Abstoppen eines PKW auf der Straße in der Absicht, nach links in eine Parkbucht abzubiegen, um dort eine auf dem (privaten) Mobiltelefon eingegangene SMS zu lesen, stellt eine eigenwirtschaftliche, nicht vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz umfasste Tätigkeit dar.

 

Orientierungssatz

1. Allein die subjektive Vorstellung der Klägerin, es habe sich möglicherweise um eine dienstliche SMS gehandelt, ist für die Bejahung des Versicherungsschutzes nicht ausreichend.

2. Dass ein verkehrsgerechtes Verhalten gem § 23 Abs 1a S 1 StVO unter dem Blickwinkel des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 dazu führt, dass Versicherte zur Nutzung des privaten Mobiltelefons den unmittelbaren Arbeitsweg verlassen müssen, muss nicht durch eine einschränkende Anwendung der unfallversicherungsrechtlichen Grundsätze korrigiert werden.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (Wegeunfall) streitig.

Die 1962 geborene Klägerin war 2012 als kaufmännische Sachbearbeiterin bei der W. GmbH in F. tätig. Sie erlitt am 10.02.2012 als Pkw-Fahrerin auf dem Weg von ihrer Arbeitsstelle nach Hause auf der Landstraße von H. in Richtung H. einen Verkehrsunfall. Bei diesem, von der Polizei aufgenommenen Unfall fuhr ein anderer Pkw von hinten auf. Die Klägerin suchte erstmals am 14.02.2012 den Durchgangsarzt Dr. S. auf. Dieser diagnostizierte im Durchgangsarztbericht vom 14.02.2012 bei der Klägerin eine Prellung der Finger im Bereich D 4 und D 5 sowie einen Verdacht auf HWS-Distorsion.

Der Arbeitgeber zeigte den Unfall am 29.02.2012 als Arbeitsunfall bei der Beklagten an und führte in der Unfallanzeige u.a. aus, dass die Klägerin, um in eine Einbuchtung auf der linken Straßenseite einbiegen zu können, auf Grund des Gegenverkehrs habe anhalten müssen. Der nachfolgende Pkw habe die Situation nicht erkannt und sei ungebremst aufgefahren.

Auf Nachfrage der Beklagten schilderte die Klägerin am 13.03.2012 das Unfallereignis wie folgt: “Ich wollte links in der Parkbucht kurz anhalten, blinkte links und hielt an wegen Gegenverkehr. Der Fahrer hinter mir fuhr auf mich auf.„ Auf weitere Nachfrage der Beklagten erklärte die Klägerin, dass sie in der Parkbucht habe anhalten wollen, um eine auf ihrem Mobiltelefon eingegangene Nachricht (SMS) zu lesen. Hierfür hätte sie das Auto nicht verlassen müssen und habe geplant, nach dem Lesen der SMS weiterzufahren.

Die Beklagte entschied mit Bescheid vom 16.03.2014, dass sie die weiteren Kosten der medizinischen Behandlung der Klägerin aufgrund des Unfalles vom 10.02.2012 nicht mehr übernehme, “weil die Voraussetzungen des Arbeitsunfalles nicht erfüllt„ seien. Zum Unfallzeitpunkt sei das Handeln der Klägerin nicht mehr auf die Zurücklegung des unmittelbaren Weges von der Arbeit nach Hause gerichtet gewesen. Vielmehr sei der Unfall geschehen, weil die Klägerin aus privaten Gründen, nämlich um eine Nachricht auf dem Mobiltelefon zu lesen, zum Abbiegen angehalten habe. Daher habe zum Zeitpunkt des Unfalls kein Unfallversicherungsschutz mehr bestanden.

Hiergegen erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch und trug vor, dass hier ein dem grundsätzlich dem persönlichen Bereich zuzuordnendes Telefonieren bzw. Lesen einer SMS der betrieblichen Sphäre zuzuordnen sei, weil die Klägerin davon ausgegangen sei, dass es sich um eine betriebliche Nachricht oder eine solche im Zusammenhang mit ihrer Arbeit gehandelt habe. Sie habe zudem zum Unfallzeitpunkt den direkten Weg von ihrer Arbeitsstelle nach Hause nicht verlassen, sondern habe auf diesem angehalten, um in eine Parkbucht zu fahren. Sie sei aber zum Unfallzeitpunkt noch nicht abgebogen. Im Übrigen sei das Parken in einer Parkbucht minimal und nicht zu berücksichtigen. Die finale Handlungstendenz der Klägerin sei darauf gerichtet gewesen, den Weg unverzüglich fortzusetzen, allerdings ohne eine Ordnungswidrigkeit zu begehen, die vorgelegen hätte, wenn sie das Telefon im fahrenden Kraftfahrzeug benutzt hätte.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Klägerin weiter mit, dass es sich bei dem Mobiltelefon um ihr privates gehandelt habe. Sie habe damals aber über keine andere Telekommunikationsmöglichkeit verfügt, so dass die Telefonnummer auch beim Arbeitgeber hinterlegt gewesen sei. Daher sei die Klägerin auch ohne weiteres davon ausgegangen, dass es sich bei “der SMS um einen Anruf des Arbeitgebers gehandelt haben könnte„ und sie habe dies überprü...

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