Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Beurteilung des GdB. Diabetes mellitus. Therapieaufwand. aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand. AHP 2004

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beurteilung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht beim Diabetes mellitus richtet sich nach dem Typ der Erkrankung, nach der Einstellbarkeit sowie Art und Ausmaß von Komplikationen. Eine gesonderte Berücksichtigung des individuellen Therapieaufwands ist nicht möglich. Insoweit entsprechen die "Anhaltspunkte 2004" nach wie vor dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.04.2008; Aktenzeichen B 9/9a SB 10/06 R)

 

Tatbestand

Streitig ist die Schwerbehinderteneigenschaft bzw. ein höherer Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht.

Bei dem 1953 geborenen Kläger war zuletzt mit Bescheid des (damaligen) Versorgungsamts (VA) vom 30.9.2002 ein (Gesamt-) GdB von 40 ab 22.3.2002 festgestellt und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit anerkannt. Als Funktionsbeeinträchtigungen waren "Diabetes mellitus (mit einem Einzel-GdB von 30), Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes (10), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (10), Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke (10)" angeführt. Die Beklagte ging dabei von einem durch Diät und Insulinbehandlung ausreichend einstellbaren Diabetes mellitus aus.

Am 10.7.2003 beantragte der Kläger die Neufeststellung bzw. die Erhöhung des GdB mit der Begründung, er müsse wegen seines Diabetes mellitus sechs bis acht Mal täglich Insulin spritzen. Nach einem Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 5.3.2003 - S 31 SB 388/01 -stehe ihm deshalb ein höherer GdB zu. Das VA holte dazu Befundberichte von Dr. von D. vom 25.7.2003 und von Dr. F. vom 22.12.2003 ein, ferner die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. Schwab vom 10.2.2004, der Einzel-GdB für den Diabetes mellitus wurde darin mit 40 bewertet. Mit Bescheid vom 20.2.2004 lehnte das VA den Neufeststellungsantrag mit der Begründung ab, trotz der neu hinzugekommenen Funktionsbeeinträchtigung Bluthochdruck (10) verbleibe es bei dem bisher festgestellten GdB von 40.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, nach dem vorgelegten Urteil des SG Düsseldorf müsse ihm wegen der Anzahl von Insulininjektionen ein GdB von 50 bis 60 zuerkannt werden. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.4.2004 zurück. In den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 30.9.2002 zu Grunde gelegen hätten, sei eine wesentliche Änderung, die eine Erhöhung des bisherigen GdB rechtfertigen könnte, nicht eingetreten. Die neu hinzugekommene Funktionsbeeinträchtigung "Bluthochdruck" mit einem Einzel-GdB von 10 erhöhe den Gesamt-GdB nicht, bezüglich der anderen Funktionsstörungen sei eine wesentliche Änderung nicht eingetreten, diese seien auch weiterhin zutreffend bewertet. Beim Kläger liege ein sekundärer insulinpflichtig gewordener Diabetes Typ 2 ohne Folgeschäden vor, bedrohliche und wiederkehrende Hypoglykämien bzw. erhebliche wiederkehrende Stoffwechselentgleisungen lägen nicht vor.

Dagegen hat der Kläger am 13.5.2004 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgebracht, er leide an einem Diabetes mellitus Typ 2. Er sei darauf zwar gut eingestellt, müsse aber mehrmals täglich den Blutzuckerspiegel messen, die Insulindosis bestimmen und sich selbst mehrmals am Tag Insulin spritzen. Nach dem GdB-Katalog der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) sei dies mit einem GdB von 50 bis 60 zu bewerten. Bezüglich des Diabetes mellitus seien die von der Beklagten angewandten "Anhaltspunkte" nicht mehr zugrunde zu legen, weil sie nicht mehr dem medizinischen Kenntnisstand entsprächen, den derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand stelle der Katalog der DDG dar. Danach sei für die Festsetzung des GdB maßgebend, wie häufig Insulin gespritzt werden müsse, um keine Über- bzw. Unterzuckerung entstehen zu lassen.

Das SG hat sachverständige Zeugenauskünfte von Dr. von D. vom 30.7.2004 und von Dr. F. vom 12.8.2004 eingeholt. Es hat sodann von Dr. S. das orthopädische Gutachten vom 17.12. 2004 und von Dr. L. das internistische Gutachten vom 15.2.2005 eingeholt. Dr. S. hat der Bezeichnung und Bewertung der Behinderungen im angefochtenen Bescheid vom 20.2.2004 zugestimmt. Dr. L. hat einen Typ-2-Diabetes mit intensivierter Insulintherapie bei guter bis befriedigender Einstellung ohne Hinweise für Stoffwechselinstabilitäten oder eine schwere Einstellbarkeit und ohne Anhalt für Komplikationen i. S. eines diabetischen Spätsyndroms festgestellt. Auch Dr. L. hat mit der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen im angefochtenen Bescheid übereingestimmt und den Gesamt-GdB auf 40 eingeschätzt.

Das SG hat die Beteiligten auf die Absicht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hingewiesen. Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, ihm sei eine Stellungnahme der DDG zur Neufassung der Anhaltspunkte avisiert worden, ferner habe er selbst e...

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