Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsregress nach § 119 SGB 10. fiktive Berücksichtigung nicht erhobener Beiträge bei der Rentenberechnung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle eines - hier nur unterstellten - vom Rentenversicherungsträger zu Unrecht unterlassenen Beitragsregresses nach § 119 SGB 10 können die nicht erhobenen Beiträge nicht fiktiv der Rentenberechnung zu Grunde gelegt werden. Denn nur tatsächlich gezahlte Beiträge sind bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich anderes anordnet, was bei § 119 SGB 10 gerade nicht der Fall ist.

2. Über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann die Zahlung von Beiträgen nicht ersetzt werden.

 

Orientierungssatz

Zum Leitsatz 1: So auch LSG Stuttgart vom 30.1.2014 - L 7 R 4417/11, LSG Mainz vom 11.1.2012 - L 4 R 266/11 sowie LSG Essen vom 17.6.2005 - L 13 RA 44/04.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.05.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung höherer Pflichtbeiträge für den Zeitraum April 1997 bis Januar 2002.

Der 1968 geborene Kläger war bis 1997 in seinem Ausbildungsberuf als Industriekaufmann bei der Firma K. tätig. Er absolvierte in dieser Zeit mit Erfolg einen berufsbegleitenden Studiengang zum Fachkaufmann (VWA) Finanz- und Rechnungswesen sowie die Fortbildungsprüfung zum Bilanzbuchhalter. Die von der Firma K. zum 06.02.1997 ausgesprochene fristlose Kündigung wurde im Rahmen eines Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht in eine ordentliche Kündigung zum 31.03.1997 umgewandelt. In der Folgezeit bezog der Kläger Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe. Ab Ende 2000 arbeitete der Kläger nochmals - teilweise gefördert durch die zuständige Agentur für Arbeit - als Bilanzbuchhalter in einem Autohaus („Autohaus S. “). Den am 15.08.2001 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten gestellten Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente begründete der Kläger mit „Mobbing“ des früheren Arbeitgebers, der Firma K., welches in der Folgezeit dann „von den Behörden“ fortgesetzt worden sei. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (S 22 RA 3589/02) diagnostizierte der vom Gericht beauftragte Sachverständige Dr. S. in seinem Gutachten vom Januar 2006 beim Kläger eine chronisch paranoide Psychose bei intellektuell durchschnittlich begabter, zwanghafter Primärpersönlichkeit mit schizoiden Zügen, auf Grund deren der Kläger nicht mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei. Mit Bescheid vom 04.07.2006 gewährte die Beklagte in Umsetzung ihres daraufhin im Klageverfahren abgegebenen Anerkenntnisses dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.02.2002 i. H. v. anfangs monatlich 892,17 € (brutto). Sie legte ihrer Berechnung Pflichtbeiträge für Januar bis März 1997 wegen der versicherungspflichtigen Beschäftigung und nachfolgend bis Dezember 1997 wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld i.H.v. 35.832,82 DM, für 1998 und 1999 wegen des zeitweisen Bezuges von Arbeitslosengeld i.H.v. 7.187,00 DM bzw. 22.122,00 DM, für 2000 wegen des zeitweisen Bezuges von Arbeitslosengeld und im Übrigen wegen der versicherungspflichtigen Beschäftigung i.H.v. insgesamt 31.460,00 DM und nachfolgend wegen der versicherungspflichtigen Beschäftigung für 2001 i.H.v. 72,399,00 DM und für den Januar 2002 i.H.v. 3.098,18 € zu Grunde. Hinsichtlich der Einzelheiten, auch der Rentenberechnung, wird auf den Bescheid Bezug genommen.

In einem nachfolgenden, im Mai 2008 eingeleiteten Verfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (S 22 R 3731/09) machte der Kläger u.a. geltend, er sei Mobbingopfer. Auf Grund dessen stünden ihm Schmerzensgeldansprüche gegen die Firma K. zu, die u. a. Geldansprüche in Höhe der hypothetischen Differenz des Gehalts eines Bilanzbuchhalters/Fachkaufmann für Bilanz und Rechnungswesen gegenüber dem zuletzt bezogenen Gehalt im ausgeübten Beruf als Industriekaufmann bis zum Rentenalter beinhalten würden, da er auf Grund des Mobbings ersteren Beruf nicht habe ausüben können. Als Pflichtbeiträge würden auch diejenigen Beiträge gelten, für die ein Schädiger aufkommen müsse, wenn bei einem Versicherten in Folge eines verschuldeten Schadens Beitragsausfälle oder Minderungen eingetreten seien. Dies sei auf Grund der dargelegten Gehaltsdifferenz zwischen der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Klägers und dem hypothetischen Gehalt der durch das Mobbing verhinderten Berufsausübung als Bilanzbuchhalter/Fachkaufmann für Bilanz und Rechnungswesen gegeben. Im Rahmen eines verfahrensbeendenden Vergleiches verpflichtete sich die Beklagte, die vom Kläger erhobene Klage als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), gerichtet gegen den Rentenbescheid vom 04.07.2006, zu werten und diesen Überprüfungsantrag unverzüglich zu bescheiden.

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