Leitsatz (amtlich)

Für die Schätzung der nach § 249 Abs. 1 S. 2 BGB erstattungsfähigen Mietwagenkosten wird in Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO künftig auf das arithmetische Mittel der nach der Schwacke- und der Fraunhofer-Liste ermittelten Werte abgestellt.

 

Verfahrensgang

AG Gengenbach (Entscheidung vom 27.12.2010; Aktenzeichen 1 C 221/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Gengenbach vom 27.12.2010 - 1 C 221/10 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 534,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2010 sowie weitere 59,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.9.2010 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung und die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt nach einem Verkehrsunfall, für den die beklagte Versicherung dem Grunde nach voll haftet, Erstattung restlicher Mietwagenkosten. Das Amtsgericht hat der Klage unter Zugrundelegung der Schwacke-Liste überwiegend stattgegeben. Gegen dieses Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, die im Wesentlichen Einwendungen gegen diese Schätzgrundlage vorträgt. Der Kläger begehrt mit seiner Anschlussberufung die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten und die Auferlegung der Kosten bezüglich eines übereinstimmend für erledigt erklärten Teils. Im Übrigen wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen gem. §§ 540 Abs. 2, 313 Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Kammer sieht sich veranlasst, ihre ständige Rechtsprechung zur Schätzung der Mietwagenkosten, die nach einem Unfall zu erstatten sind, zu modifizieren.

Ausgangspunkt ist dabei zunächst die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der in zwei Urteilen vom 22.02.2011 - VI ZR 353/09, NJW-RR 2011, 823 Tn. 8 und vom 17.05.2011 - VI ZR 142/10, NJW-RR 2011, 1109 Tn. 9 beanstandet hat, dass sich die Instanzgerichte jeweils nicht hinreichend mit Einwendungen beschäftigt hatten, die die beklagten Versicherungen gegen die Tauglichkeit des Modus der Schwacke-Liste als Schätzungsgrundlage für die Höhe der zu erstattenden Mietwagenkosten erhoben hatten.

Hinzu kommt, dass es bei der Schwacke-Liste 2010 gegenüber den Werten der Schwacke-Liste 2009 zu ganz erheblichen Veränderungen zwischen Werten für identische Anmietsituationen gekommen ist, die nicht erklärbar sind. So weist das Amtsgericht Offenburg im Urteil vom 27.07.2011 - 4 C 59/11 - darauf hin, dass im Postleitzahlengebiet 776 der Modus-Wert der Tagespauschale in der Klasse 1 um über 60% und in der Klasse 2 um über 70% angestiegen ist, während die Preise in den Postleitzahlengebieten 766 oder 795 identisch geblieben sind. Im Fall 1 S 61/11 wurde vorgetragen, dass der maßgebliche Wochenwert für die Gruppe 3 im Postleitzahlengebiet 777 von 880,60 EUR auf 535,50 EUR gefallen ist. Demgegenüber ist er im Postleitzahlengebiet 776 von 673,00 EUR auf 880,60 EUR, mithin um 31% gestiegen.

Der Bundesgerichtshof hat in den beiden genannten Entscheidungen nicht näher ausgeführt, welche Anforderungen im Hinblick auf die prozessuale Behandlung solcher Einwendungen bestehen.

Es dürfte den Vorgaben des Bundesgerichtshofs einerseits entsprechen, wenn man diese Einwendungen argumentativ entkräftet, wie dies z.B. das Oberlandesgericht Köln in der Entscheidung vom 18.08.2010 - 5 U 44/10, NZV 2010, 614, 615 getan hat.

Es kommt auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe der am Markt praktizierten Mietwagenkosten infrage. Die Kammer entscheidet sich indessen bewusst gegen diesen Lösungsweg. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss Einwänden gegen eine Schätzgrundlage nicht durch Beweiserhebung nachgegangen werden, wenn eine andere geeignete Schätzgrundlage zur Verfügung steht (U.v. 14.10.2008 - VI ZR 308/07, NJW 2009, 58). Aus dem Parteivortrag zu vergleichbaren Fällen wird für die Kammer deutlich, dass solche Gutachten durch eine Fülle anderer Instanzgerichte bereits eingeholt wurden, ohne dass dies zu einer eindeutigen Beantwortung der hier streitigen Fragen nach der Höhe der auf dem Markt praktizierten Mietwagenkosten geführt hätte. Insbesondere im Fall 1 S 61/11, in dem für die beklagte Versicherung ein Unternehmensberater konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen Mietpreise zeitnah zum Unfall abgefragt hatte, ergibt sich deutlich, dass es auch nach der Einholung eines Sachverständigengutachtens immer wieder zu Diskussionen hinsichtlich der Vergleichbarkeit des Anmietszenarios kommt und der Einwand erhoben wird, im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung würden andere Preise praktiziert als zum Unfallzeitpunkt. Auch wird ein Gutachter nie ein...

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