Verfahrensgang

AG Neubrandenburg (Entscheidung vom 03.07.2007; Aktenzeichen 13 Gs 247/07)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 03.07.2007 (13 Gs 247/07) aufgehoben, soweit darin eine Unzulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung von Akteneinsicht festgestellt wurde.

  • 2.

    Der Antrag des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung von Akteneinsicht in die Blätter 4 und 10-15 der Ermittlungsakte wird als unzulässig verworfen.

 

Gründe

Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Neubrandenburg führt gegen den Beschuldigten Ermittlungen wegen des Verdachts der Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerhinterziehung.

Im Rahmen dieser Ermittlungen ordnete das Amtsgericht Neubrandenburg die Durchsuchung verschiedener Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten und zweier Bankinstitute an.

Gegen diese Durchsuchungsanordnungen legte der Beschuldigte Beschwerde ein und beantragte zugleich (unter Bezugnahme auf einen bereits zuvor gestellten Antrag) Einsichtnahme in die Ermittlungsakten.

Auf Anordnung der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Neubrandenburg vom 16.05.2007 wurde den Verteidigern des Beschuldigten teilweise Akteneinsicht gewährt. Von der Akteneinsicht ausgeschlossen wurden die Blätter 4 und 10 bis 15 der Ermittlungaskte, "da eine Einsicht in diese Unterlagen die weiteren Ermittlungen konkret gefährden könnten (§147 Abs. 2 StPO)".

Gegen diese Verweigerung der Akteneinsicht in bestimmte Bestandteile der Ermittlungsakte hat der Beschuldigte mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 18.06.2007 gerichtliche Entscheidung "entsprechend §147 Abs. 5 Satz 2 StPO" beantragt.

Mit dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts wurde die Unzulässigkeit dieses Antrags festgestellt.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschuldigten hat zunächst vorläufigen Erfolg.

Für Entscheidungen nach §147 Abs. 5 Satz 2 StPO ist nach §161 a Abs. 3 Satz 2 StPO das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat.

Die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts war somit wegen dessen Unzuständigkeit für die getroffene Entscheidung aufzuheben.

Die Kammer teilt allerdings die in der aufgehobenen Entscheidung dargelegte Rechtsauffassung des Amtsgerichts.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, weil unstatthaft.

Gegen die teilweise Versagung der Akteneinsicht ist vorliegend kein Rechtsmittel eröffnet.

Mit der am 1. November 2000 in Kraft getretenen Neufassung des §147 StPO hat der Gesetzgeber die Zuständigkeit für die Gewährung von Akteneinsicht neu geregelt und gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft nur in den in Absatz 5 Satz 2 StPO genannten Fällen den Rechtsbehelf des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des §161 a Abs. 3 S. 2-4 StPO vorgesehen. Diese gesetzliche Neuregelung soll - auch in den Fällen, in denen die Anfechtung entsprechender Entscheidungen der Staatsanwaltschaft schon nach bisherigem Recht möglich war - einheitlich den Rechtsweg nach §161 a Abs. 3 S. 2-4 StPO eröffnen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 17.9.2001, - 4 VAs 24/01 -, zitiert nach [...]). Im übrigen stehen dem Beschuldigten gegen ablehnende Verfügungen der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren außer Gegenvorstellung bzw. Dienstaufsichtsbeschwerde keine Rechtsmittel mehr zur Verfügung (vgl. OLG Frankfurt in NStZ-RR 2005, 376; Laufhütte in KK, 5. Auflage, RdNr. 24 zu §147; Meyer-Goßner, 48. Auflage RdNr. 40 zu §147).

Da keiner der in §147 Abs. 5 S. 2 StPO genannten Fälle gegeben ist, folgt nun, dass im vorliegenden Fall ein Rechtsbehelf nicht gegeben ist.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verweigerung der Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren zwingt entgegen der Auffassung der Verteidiger des Beschuldigten auch nicht zur entsprechenden Anwendung des §147 Abs. 5 S. 2 StPO.

Rechtliches Gehör sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess selbstbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Art. 103 Abs. 1 GG steht in einem funktionalen Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes. Dem kommt besondere Bedeutung zu, wenn im strafprozessualen Ermittlungsverfahren Eingriffsmaßnahmen ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerichtlich angeordnet werden (§33 Abs. 4 StPO). Dann ist das rechtliche Gehör jedenfalls im Beschwerdeverfahren nachträglich zu gewähren (vgl. BVerfG in NJW 2006, 1048).

Ist - wie hier im Bereich des Strafprozesses - ein "in camera"-Verfahren mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbar, so folgt daraus, dass eine dem Betroffenen nachteilige Gerichtsentscheidung jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nur auf der Grundlage solcher Tatsachen und Beweismittel getroffen werden kann, über die er zuvor sachgemäß unterrichtet wurde und zu denen er sich äußern konnte. Zum Anspruch auf Gehör vor Gericht gehört demnach auch die Information über die...

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