Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafprozessrecht:. Zu den Voraussetzungen der Zuständigkeit des Landgerichts wegen besonderer Schutzbedürftigkeit von "Opferzeugen" nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG neuer Fassung

 

Tenor

  • 1.

    Die Anklage der Staatsanwaltschaft Hechingen vom 06. September 2005 wird zur Hauptverhandlung zugelassen, soweit sie dem Angeschuldigten sexuellen Missbrauch von Kindern in 44 Fällen zur Last legt.

    Insoweit wird das Hauptverfahren vor dem

    Amtsgericht - Schöffengericht - Hechingen

    eröffnet.

    Im Übrigen wird die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.

  • 2.

    Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt ist.

 

Gründe

Die Anklage legt dem Angeschuldigten sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB in der bis zum 31. März 2004 gültigen Fassung zur Last, begangen in den ersten beiden Fällen an jeweils nicht näher feststellbaren Tagen im Jahr 1993 oder 1994, "jedenfalls noch vor der Einschulung der P.W. im September 1994", weitere 50 Vorfälle sollen sich "im Zeitraum danach bis 31.12.1998" an "mindestens 50 weiteren nicht näher feststellbaren Tagen ..., jedenfalls mindestens zehn mal pro Jahr" zugetragen haben.

Mit Beschluss vom 25. Oktober 2005 hat das Amtsgericht - Schöffengericht - Hechingen das Verfahren gemäß § 209 Abs. 2 StPO der großen Strafkammer mit der Bitte um Übernahme vorgelegt. Zur Begründung wird in erster Linie auf die besondere Schutzbedürftigkeit der heute 18 Jahre alten Zeugin P.W. abgestellt, die im Verfahren gegen den bestreitenden Angeschuldigten über sexualbezogene Kindheitserlebnisse im Alter von fünf bis elf Jahren berichten solle. Es sei deshalb nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG angezeigt, ihr die Vernehmung über mehrere Instanzen zu ersparen.

Daneben geht das Schöffengericht auch davon aus, dass die Straferwartung bei mehr als 50ig-fachem sexuellen Missbrauch eines Kindes im Alter von fünf bis elf Jahren und angesichts der Tatsache, dass der Angeschuldigte die Vorwürfe bestreitet, über vier Jahre liegen dürfte und die Strafgewalt des Amtsgerichts überschritten ist.

Wie das vorlegende Amtsgericht geht auch die Kammer davon aus, dass gegen den Angeschuldigten ein hinreichender Tatverdacht des sexuellen Missbrauchs von Kindern besteht, indes "nur" in 44 Fällen, nicht wie angeklagt, in 52 Fällen. Die Zeugin P.W. hat die Tatvorwürfe im Rahmen von zwei ausführlichen Vernehmungen bei der Kriminalaußenstelle Albstadt am 30. Mai 2005 und am 10. Juni 2005 geschildert, wie sie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift zu Grunde gelegt hat.

Nach derzeitigem Sachstand spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeschuldigte der ihm zur Last gelegten Taten überführt werden wird.

Die Aussage der Zeugin erfüllt eine Vielzahl von Kriterien, deren Vorliegen bei der Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage erforderlich sind, um von der Schilderung selbst erlebter Geschehnisse ausgehen zu können.

So schildert die Zeugin eine Vielzahl von Übergriffen, die sie nach den jeweiligen Tatzeiten zwar nicht mehr einordnen kann, was aufgrund der hohen Anzahl und der Gleichartigkeit der Geschehensabläufe unbedenklich ist. Der Mangel an quantitativer Bezifferung der Übergriffe wird indes aufgewogen durch die Tatsache, dass die Zeugin auch heute noch, sechs Jahre nach dem letzten Übergriff in der Lage ist, sowohl diesen als auch die ersten beiden Übergriffe detailliert zu schildern. Ihre Beschreibungen sind auch nicht detailarm, vielmehr ist sie auch in der Lage, ihre eigene Befindlichkeit bei der jeweiligen Situation wieder zu geben. Gerade auch beim letzten Übergriff vermag sie die Reaktion des Angeschuldigten als "überrascht" über ihre jetzt erstmals vorgenommene Gegenwehr zu beschreiben.

Motive für eine Falschbelastung sind für die Kammer nicht ersichtlich. Eine Zuschreibung tatsächlich mit einem anderen Täter erlebter Geschehnisse auf den Angeschuldigten ist wenig plausibel. Ein solches Verhalten steht zum Beispiel dann zu erwarten, wenn bei Eingehung einer Beziehung offenbar wird, dass eine Jugendliche nicht mehr Jungfrau ist oder wenn die stattgehabten Vorfälle aufgrund anderer Umstände bekannt werden. Solches ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Vielmehr hat die Zeugin im Verlauf der Jahre feststellen müssen, dass sie dem Angeschuldigten nicht mehr unbelastet gegenüber treten konnte und dass sie ohne Aufarbeitung und Hilfe von außen mit den Geschehnissen entgegen ihrer eigenen Erwartung doch nicht fertig wurde. Plausibel schildert sie auch, dass gerade der zuletzt wieder häufigere Kontakt aufgrund ihrer Ausbildung in der Arztpraxis, in der die Ehefrau des Angeschuldigten beschäftigt ist, für sie zunehmend unerträglicher wurde, was schlussendlich zur Anzeigenerstattung geführt habe.

Indes war das Hauptverfahren nur hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 44 Fällen zu eröffnen, da der Berechnung der Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift ein Rechenfehler zu...

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