Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit eines Sozialgerichts im Falle der Beanstandung nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge und Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei einer Schuldnerin

 

Normenkette

InsO § 174 Abs. 2, §§ 181, 302 Nr. 1; BGB § 823 Abs. 2; StGB § 263

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 18.01.2010; Aktenzeichen 16 C 438/08)

BGH (Urteil vom 18.12.2008; Aktenzeichen IX ZR 124/08)

BGH (Urteil vom 18.01.2007; Aktenzeichen IX ZR 176/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 18.01.2010 – 16 C 438/08 – aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenversicherung, hatte im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten eine Forderung angemeldet, die sich darin gründet, dass der Beklagte – nach Behauptung der Klägerin – Sozialversicherungsbeiträge nicht an die Klägerin abgeführt hatte. Aufgrund des Widerspruchs des Beklagten erhob sie Klage, um feststellen zu lassen, dass die (zuletzt) in Höhe von 1.850,84 EUR angemeldete Forderung aus dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung besteht.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 18.01.2010 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Dresden verwiesen. Gegen den ihr am 25.01.2010 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am 04.02.2010 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß den §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569, 17a Abs. 4 S. 3 GVG statthaft, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden.

Sie hat in der Sache auch Erfolg. Entgegen der vom Amtsgericht im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet, da es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 13 GVG handelt.

Die Art der Streitigkeit bestimmt sich bei fehlender ausdrücklicher Rechtswegzuweisung nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Anspruch hergeleitet wird (vgl. BGH NJW 1978, 2091, nach […]). Grundlage der Entscheidung ist dabei der Sachvortrag des Klägers, da dieser den Streitgegenstand bestimmt. Stellt sich also der Klageanspruch als Folge eines Sachverhalts dar, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, besteht die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte (vgl. BGH a.a.O.).

Vorliegend geht es der Klägerin um die im Rahmen von § 302 Nr. 1 InsO bedeutsame Feststellung, dass ihrer Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liegt Ob dies zu bejahen ist, richtet sich nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, also nach einer Vorschrift, die dem bürgerlichen Recht entstammt und das ursprünglich öffentlich-rechtliche Verhältnis der Parteien nicht berührt. Ob der Beklagte die Sozialversicherungsbeiträge in der geltend gemachten Höhe, wie er behauptet, noch abgeführt hat, stellt lediglich eine nicht rechtswegbestimmende Vorfrage des zu klärenden deliktischen Anspruchs dar.

Die Einzelrichterin folgt insoweit den zutreffenden Gründen der Entscheidungen des VG Schleswig vom 25.05.2009 – 15 A 56/09 – und LG Verden vom 16.09.2009 – 6 T 146/09 –. Hingegen vermag die vom Amtsgericht herangezogene Entscheidung des LG Itzehoe vom 18.07.2008 – 9 T 27/08 -(ähnlich auch; SG Gelsenkirchen vom 29.05.2006 – S 2 SO 26/05 –) nicht zu überzeugen.

Dass der Beklagte auch aus einer sozialrechtlichen Norm (insbesondere § 28e SGB IV) in Anspruch genommen werden könnte, ist schon deshalb unerheblich, weil sich hieraus nur die Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers, nicht jedoch die – vorliegend allein – begehrte Feststellung seiner deliktischen Haftung ergibt.

Weiter übersieht das LG Itzehoe, dass, anders als im Anwendungsbereich des früheren § 61 KO, nunmehr § 302 Nr. 1 InsO mit der Anknüpfung an das Vorliegen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ein einheitliches Tatbestandsmerkmal geschaffen hat, das allein der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte unterfällt (vgl. VG Schleswig, a.a.O.). Konsequenterweise hat der BGH deshalb zumindest konkludent die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in zwei neueren Entscheidungen bejaht, in denen – ähnlich wie hier – aufgrund eines Widerspruchs des Schuldners die Feststellung begehrt wurde, dass wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen angemeldete Forderungen auf unerlaubter Handlung beruhen (vgl. BGH, NZI 2007, 416 [BGH 18.01.2007 – IX ZR 176/05]; BGH NJW 2009, 1280, [BGH 18.12.2008 – IX ZR 124/08] jeweils nach […]). Auch dort war aber das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ursprünglich ein öffentlich-rechtliches.

Entgegen der Auffassung des LG Itzehoe lassen sich außerdem weder dem Wortlaut noch der Gesetzesbegründung der §§ 181, 174 Abs. 2 InsO eindeutige Hinweise zur Rechtswegzuständigkeit zu nehmen, zumal § 174 Abs. 2 InsO an der rechtlichen Einordnu...

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