Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Fahren ohne Fahrerlaubnis für den Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis

 

Normenkette

StPO § 473 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Aurich (Entscheidung vom 30.06.2010; Aktenzeichen 6 Gs 823/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 30.06.2010 (Az: XX/10) wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

 

Gründe

Die Beschwerde des Beschuldigten ist zwar zulässig, in der Sache aber unbegründet, da die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 111a Abs. 1 StPO, 69 Abs. 1, 69b Abs. 2 S. 1 StGB gegeben sind.

Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 StVG die Fahrerlaubnis gemäß §§ 69 Abs. 1, 69b Abs. 2 S. 1 StGB entzogen werden wird.

Ein dringender Tatverdacht für eine entsprechende Straftat ist nach Aktenlage, insbesondere aufgrund der Aussagen der Ermittlungsbeamten, gegeben. Insoweit wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen, zumal das tatsächliche Tatgeschehen als solches von Seiten des Beschuldigten nicht bestritten wird.

Danach verfügte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt nicht über eine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis. Die vorgelegte tschechische Fahrerlaubnis jedenfalls berechtigte gem. § 28 Abs. 4 Nr. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) a.F. nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland, da der Beschuldigte im Zeitpunkt des Führerscheinerwerbs seinen Wohnsitz im Inland hatte und noch hat.

Zwar ist nach dem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29. 4. 2004 (Fall "Kapper") das Wohnsitzerfordernis des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV in der alten Fassung so nicht mit europäischem Recht vereinbar und verstößt gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen der Mitgliedstaaten; im zu entscheidenden Fall wurde - wie hier - die ausländische Fahrerlaubnis nach Ablauf der von einem deutschen Gericht verhängten Sperrfrist ausgestellt. In einer gleich gelagerten Konstellation bestätigte der EuGH durch Beschluss vom 6. 4. 2006 (Fall "Halbritter") diese Rechtsprechung: Haben die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß der Führerschein-Richtlinie ausgestellt, sind die anderen Mitgliedstaaten nach Auffassung des EuGH grundsätzlich nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen. Gleichwohl formulierte der EuGH in seinen Entscheidungen vom 26. 6. 2008 (Fälle "Wiedemann und Funk" sowie "Zerche, Seuke und Schubert") erstmals eine entscheidende Einschränkung von der grundsätzlichen Anerkennungspflicht: Die Anerkennung eines neu ausgestellten Führerscheins kann nach Art. 8 IV der Richtlinie dann versagt werden, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass dieser unter Missachtung der Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist (so auch Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder28, § 69b Rz. 2; Mosbacher/Gräfe, in: NJW 2009, S. 801 (802) m.w.N.). Insoweit ist für die hier gültige Rechtslage § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV a.F. dahingehend europarechtskonform auszulegen, dass dann, wenn aus dem Führerschein selbst bzw. aus unbestreitbaren Informationen des Ausstellerstaates ersichtlich ist, dass der Inhaber des EU-Führerscheines seinen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung im Inland hatte, die Anerkennung zu versagen ist und der Inhaber damit nicht über eine im Inland gültige Fahrerlaubnis verfügt.

Und genau letzteres ist hier der Fall.

Aufgrund der unbestreitbaren Informationen des gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit steht nach Angaben der tschechischen Polizei fest, dass der Beschuldigte nicht über einen Wohnsitz im Ausstellerstaat, also in Tschechien, verfügte (vgl. Schreiben vom 19.05.2010, Bl. 15 d.A.). Vielmehr ergab eine Nachfrage beim Einwohnermeldeamt der Gemeinde S., dass dieser seit dem 15.06.1996 mit seinem ordentlichen Wohnsitz dort gemeldet ist (vgl. Ermittlungsvermerk, Bl. 2 d.A.).

Insofern ist der Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfüllt, wenn gegen den Betroffenen - wie hier - ausweislich des Verkehrszentralregisters der Entzug der Fahrerlaubnis bestandskräftig angeordnet und diese Eintragung noch nicht gem. § 29 StVG getilgt wurde und dieser sodann im Inland davon Gebrauch macht, ohne dass ihm dazu auf Antrag gem. 28 Abs. 5 FeV das Recht dazu erteilt wurde (so auch Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 803).

Entgegen der Rechtsauffassung der Beschuldigten ist die Beschlusslage nicht "paradox". Der Fahrer verfügt zwar in solchen Fällen - wie vorliegend - "automatisch" kraft Gesetzes nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis i.S.v. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (vgl. VGH München, DAR 2008, S. 662 = BeckRs 2009, 30178; Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 803). Da die ausländische Fahrerlaubnis beim Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes aber als solche wi...

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