Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderzuwendung. Verweisungsklausel. Auslegung. Gleichstellungsabrede. Neuvertrag. Flächentarifvertrag. Haustarifvertrag. Verdrängung. Bezugnahmeklausel

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Haustarifvertrag als sachnäherer Tarifvertrag verdrängt bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern regelmäßig nur dann einen in einer arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel konkret bezeichneten Flächentarifvertrag, wenn sich dieses aus dem tatsächlichen Wortlaut der Verweisungsklausel deutlich ergibt.

 

Normenkette

TVöD § 20 Abs. 2; BGB §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

ArbG Flensburg (Urteil vom 30.03.2011; Aktenzeichen 1 Ca 262/10)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 30.03.2011 – 1 Ca 262/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen, allerdings mit der Maßgabe, dass Ziffer 1 des Tenors wie folgt gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Sonderzahlung für das Jahr 2007 in Höhe von 2.450,42 EUR brutto abzgl. geleisteter 992,33 EUR brutto und für das Jahr 2008 in Höhe von 2.450,42 EUR brutto abzgl. geleisteter 645,58 EUR brutto gemäß TVöD zu zahlen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der tariflichen Sonderzahlung für 2007 und 2008 und in diesem Zusammenhang u.a. um die Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel und deren Folgen.

Die Klägerin ist am …1970 geboren. Mit Wirkung ab 01.05.2003 wurde sie von der M. GmbH (im Folgenden: M.-GmbH), die in kommunaler Trägerschaft geführt wurde, als Krankenschwester eingestellt. Die M.-GmbH war an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes, also den BAT und ab 01.10.2005 den TVöD gebunden. Ab 2006 erwarb die nicht an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebundene D.-Gruppe sukzessive mehr und mehr Geschäftsanteile der M.-GmbH bzw. nach Umbenennung von deren Rechtsnachfolgerin, der heutigen Beklagten.

Bis 2009 war die Klägerin nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Im Jahre 2009 trat sie der Gewerkschaft ver.di bei.

Ihr Arbeitsvertrag vom 1.4.2003 enthält in § 2 u. a. folgende Klausel:

„Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 in der jeweils geltenden Fassung und den sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträgen.” (Anl. K1 – Bl. 7 d.A.)

Spätere Änderungsverträge bezogen sich nicht auf die oben genannte Klausel.

Bis 2006 erhielt die Klägerin die volle Jahressonderzahlung nach TVöD. Letztere belief sich 2006 auf 3.139,78 EUR brutto (Anl. K 14, Bl. 59 d.A.).

Mit Datum vom 25.3.2007 schlossen die Gewerkschaften ver.di und NGG mit der D. – Holding AG einen Firmen-„Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung” (im Folgenden: TV- Sonderzahlung). Danach erhalten die Arbeitnehmer mit Wirkung ab 2007 für jedes Wirtschaftsjahr eine vom Betriebsergebnis abhängige Sonderzahlung auf Basis eines bestimmten Faktors. Für die Mitglieder der Gewerkschaften ver.di und der NGG ergeben sich für die Jahre 2007 bis einschließlich 2010 gegenüber den übrigen Arbeitnehmern jeweils höhere Faktoren.

Dieser Sonderzuwendungstarifvertrag der D.-Holding ist durch Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus formellen Gründen für nicht anwendbar erklärt worden (BAG vom 18.11.2009 – 4 AZR 491/08 und BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 120/09). Im Anschluss daran haben die Tarifvertragsparteien mit Änderungstarifvertrag vom 02.03.2010, dem sogenannten Heilungstarifvertrag, den „Formfehler” rückwirkend korrigiert und den alten Tarifvertrag inhaltlich wiederhergestellt.

Die Beklagte hat der Klägerin die Sonderzahlungen für 2007 und 2008 nach dem TV-Sonderzahlung ohne den Zuschlag für Gewerkschaftsmitglieder rechnerisch korrekt und insoweit unbeanstandet gezahlt. Für 2007 gewährte sie der Klägerin eine Sonderzahlung in Höhe von 992,33 EUR brutto und für 2008 in Höhe von 645,58 EUR brutto (Bl. 186 d.A.). 2009 erhielt die Klägerin infolge des Gewerkschaftsbeitritts dann eine Sonderzahlung in Höhe von 3.431,70 EUR brutto.

Die Klägerin hat stets die Auffassung vertreten, ihr Anspruch auf restliche Jahressonderzahlung für die Jahre 2007 und 2008 ergebe sich aufgrund der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel aus § 20 Abs. 2 TVöD. Jedenfalls aber differenziere die Beklagte im TV-Sonderzahlung unzulässig zwischen Gewerkschafts- und Nichtgewerkschaftsmitgliedern. Sie habe daher hilfsweise mindestens einen Anspruch auf die Sonderzahlung, die Gewerkschaftsmitglieder in den streitigen Jahren bezogen haben.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist,

der Klägerin eine Jahressonderzahlung für die Jahre 2007 und 2008 gemäß TVöD zu zahlen,

hilfsweise

die Klägerin hinsichtlich der Jahressonderzahlung für die Jahre 2007 und 2008 einem verdi-/NGG-Mitglied gleichzustellen,

und zwar bei beiden Anträgen unter Berücksichtigung/Abzug der bisher in den Jahren 2007 und 2008 bereits ausgekehrten Teil-Jahressonderzahlungen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat stets die Ansicht vertreten, ...

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