Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderzuwendung. Verweisungsklausel. Auslegung. Gleichstellungsabrede. Neuvertrag. Haustarifvertrag. Bezugnahmeklausel im Neuvertrag. Reichweite der Bezugnahme
Leitsatz (amtlich)
Es ist durch Auslegung der Bezugnahmeklausel zu ermitteln, ob sie einen Haustarifvertrag erfasst. Erwähnt die Klausel einen konkreten Flächentarifvertrag, werden Haustarife nur erfasst, wenn entsprechende Anhaltspunkte für ihre Einbeziehung vorliegen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; TVöD § 20
Verfahrensgang
ArbG Flensburg (Urteil vom 30.03.2011; Aktenzeichen 1 Ca 263/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 30.03.2011 – 1 Ca 263/10 – teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2007 gemäß TVöD in Höhe von 2.184,39 EUR brutto abzüglich gezahlter 729,41 EUR brutto zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufung zuletzt nur noch über die Höhe der tariflichen Sonderzahlung für das Jahr 2007.
Die Beklagte betreibt in S. das ehemalige M.-L.-Krankenhaus. Bei Gründung der M.-L.-Krankenhaus GmbH im Jahr 1985 waren die Evangelisch-Lutherische Diakonissenanstalt F. und der Kreis S.-F. Träger der Einrichtung und Inhaber der Gesellschaftsanteile. Im Jahr 1992 veräußerte die Evangelisch-Lutherische Diakonissenanstalt F. ihre Gesellschaftsanteile an den Kreis S.-F.. Das Krankenhaus wurde seither – mit wechselnden Gesellschaftern – in ausschließlich kommunaler Trägerschaft geführt. Ab dem Jahr 2006 erwarb die D.-Gruppe schrittweise die Gesellschaftsanteile. Seit Ende 2007 hält sie 93,99 % der Anteile. Zum 11.05.2006 wurde das Krankenhaus in „Sc.-Klinikum S. MLK GmbH” umbenannt.
Der am …1983 geborene Kläger trat am 01.08.2005 als Krankenpfleger in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Dem Arbeitsverhältnis liegt der mit der M.-L.-Krankenhaus S. GmbH (MLK-GmbH) geschlossene Arbeitsvertrag vom 19.07.2005 zugrunde (Anlage K 1 = Bl. 7 d. A.), dessen § 2 wie folgt lautet:
„Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 in der jeweils geltenden Fassung und den sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträgen.”
Das Arbeitsverhältnis endete am 30.11.2009.
Die MLK-GmbH war an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden.
Bis zum Jahr 2006 vergütete die Beklagte ihre Mitarbeiter nach dem BAT bzw. dem TVöD, obwohl sie an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes nicht gebunden war und ist. Sie zahlte dem Kläger eine jährliche Sonderzahlung nach BAT bzw. § 20 TVöD.
Am 25.03.2007 schlossen die V.gewerkschaft (v.) und die Gewerkschaft N.-G.-Ga. (NGG) mit der D. H. AG einen „Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung für die Jahre 2007 bis 2011” (TV-S). Danach erhalten die Arbeitnehmer für jedes Wirtschaftsjahr eine vom Konzernergebnis vor Zinsen, Abschreibung und Steuern (EBITDA) abhängige Sonderzahlung. Jedem EBITDA ist ein bestimmter Faktor zugeordnet, mit dem das Bruttomonatsgehalt multipliziert wird und der dadurch die Höhe der Sonderzahlung bestimmt. Der Faktor lag in den Jahren 2007 bis 2009 für Mitglieder der Gewerkschaften v. bzw. NGG teilweise deutlich oberhalb des für die übrigen Mitarbeiter vorgesehenen Faktors (vgl. § 5 Ziff. 5 TV-S). Nach § 5 Nr. 12 TV-S erhalten Gewerkschaftsmitglieder unabhängig von einer möglichen höheren Zahlung nach den Regelungen der Ziffern 4 bis 9 in den Jahren 2007 bis 2009 mindestens eine garantierte Sonderzahlung. Der TV-S sollte nach seinem § 6 u. a. den § 20 TVöD ersetzen.
Der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts rügte in seinem Urteil vom 18.11.2009 (4 AZR 491/08), die wirksame Vertretung der dortigen Beklagten bei Abschluss des TV-S sei nicht dokumentiert. Die tarifschließenden Parteien setzten deshalb unter dem 02.03.2010 u. a. den hier streitigen TV-S rückwirkend zum 01.01.2007 in Kraft. Dieser Tarifvertrag ist mit Ausnahme des Rubrums textidentisch mit dem TV-S aus dem Jahr 2007. Die Tarifvertragsparteien waren sich darüber einig, dass durch die rückwirkende Inkraftsetzung das Vertrauen in die Geltung der Tarifverträge wiederhergestellt worden sei.
Der Kläger trat (erst) im Laufe des Jahres 2007 der Gewerkschaft v. bei. Er hat für dieses Jahr die ihm als Nichtgewerkschaftsmitglied nach dem TV-S zustehende Sonderzahlung erhalten. Die Beklagte zahlte ihm 729,41 EUR. Ende November 2007 machte der Kläger schriftlich eine ungekürzte Sonderzahlung geltend. In den Jahren 2008 und 2009 erhielt der Kläger die aufgrund seiner der Beklagten nachgewiesenen Gewerkschaftszugehörigkeit die Gewerkschaftsmitgliedern nach dem TV-S zustehende Sonderzahlung.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug für die Jahre 2007 bis 2009 eine höhere Sonderzahlung verlangt, die...