Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzlicher Mindesturlaub und tariflicher Mehrurlaub. Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien zum tariflichen Mehrurlaub

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es bedarf nach dem Unionsrecht und nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers zur Verwirklichung des Urlaubsanspruchs der Arbeitnehmer. Diese Grundsätze gelten im Normalfall für den gesetzlichen Mindesturlaub wie auch für den tariflichen Mehrurlaub.

2. Die Tarifvertragsparteien können aber den tariflichen Mehrurlaub frei regeln, ohne die unionsrechtlichen Vorgaben für den gesetzlichen Mindesturlaub zu beachten. Der abweichende Regelungswille muss aber in den Tarifregeln klar und eindeutig erkennbar sein.

 

Normenkette

RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; BUrlG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1; MTV Metall- und Elektroindustrie Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern § 10 Nr. 2.1 Fassung: 2018-02-08, Nr. 6.7 Fassung: 2018-02-08

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 27.11.2018; Aktenzeichen 3 Ca 1657/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 27.11.2018 - 3 Ca 1657/18 - abgeändert.

  1. Es wird festgestellt, dass der Klägerin seitens der Beklagten für das Jahr 2017 neben den nicht strittigen 20 Tagen des gesetzlichen Urlaubs weitere 10 Tage tariflichen Urlaubsanspruch zustehen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen) sowie die Kosten der Revision.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für das Jahr 2017 auch nach dem 30. April 2018 über den gesetzlichen Urlaub hinaus weitere zehn Tage tariflicher Erholungsurlaub zustehen.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01. Juli 2006 als Anwendungsentwicklerin für ein Bruttomonatsgehalt i. H. v. EUR 6.122,58 beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es unter 8.1.:

"8.1 Sonstige Regelungen

Im Übrigen gelten für das Anstellungsverhältnis die Bestimmungen der betrieblich angewandten Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind dies die Tarifverträge der Metallindustrie. Weiterhin gelten alle betrieblichen Regelungen, Betriebsvereinbarungen, Richtlinien der D. M. D. GmbH in ihrer jeweils gültigen Fassung, sofern Sie unter deren Geltungsbereich fallen. Die entsprechenden Regelungswerke können Sie im HR Management einsehen."

Die betrieblich angewandten Tarifverträge sind zum einen der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vom 03. Juli 2008 in der Fassung vom 08. Februar 2018 ("MTV") sowie der Zukunftstarifvertrag D. vom 04. Dezember 2015 ("ZTV II") Anwendung.

Die Klägerin hat im Jahre 2017 keinen Urlaub in Anspruch genommen. Sie war vom 20. Juli 2017 bis zum 31. Mai 2018 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Vor ihrer Erkrankung erhielt die Klägerin keine Hinweise von der Beklagten im Hinblick auf die Urlaubsregelungen.

Im September 2017 wies die Beklagte im Intranet die Belegschaft mit einem Informationsschreiben (Bl. 250 d. A.) auf Folgendes hin:

"Der Herbst steht vor der Tür und das Jahresende ist langsam in Sichtweite. Eine gute Zeit, den Abbau von noch vorhandenen Urlaubstagen zu planen. Die Maßgabe, dass der Jahresurlaub grundsätzlich bis 31.12. eines jeden Jahres zu nehmen ist, besteht weiterhin.

Eine Übertragung des Jahresurlaubs in das Folgejahr sollte die Ausnahme bleiben. Mit dem Abbau des Urlaubs im laufenden Kalenderjahr können wie das Ausbauen von Rückstellungen vermeiden, was sich positiv auf das Jahresergebnis auswirkt.

Bitte lassen Sie Ihren geplanten Urlaub und den Ihrer Mitarbeiter rechtzeitig vom zuständigen Gleitzeitbeauftragten erfassen."

Dieser Hinweis gelangte wegen der Erkrankung der Klägerin nicht an sie. Weitere Mitteilungen an die Klägerin sind in 2018 nicht erfolgt, da die Beklagte von einem Verfall des tariflichen Urlaubs ausging.

Nach der Genesung ab Juni 2018 gesteht die Beklagte der Klägerin für das Jahr 2017 noch 20 Tage gesetzlichen Urlaub zu, der übrige Urlaub sei verfallen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27. November 2018 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Feststellungsantrag der Klägerin zulässig sei, da die Klägerin zunächst ein Feststellungsinteresse daran habe, dass festgestellt werde, dass ihr Urlaub zu gewähren sei, bevor sie im Rahmen einer Leistungsklage einen zeitlich bestimmten Antrag auf Gewährung des Urlaubs stelle.

Das Feststellungsbegehren sei allerdings im Umfang von 10 Tagen tariflichen Mehrurlaubs unbegründet, da dieser gemäß § 4 (4) ZTV II i. V. m. § 10.6.7 MTV am 30. April 2018 verfallen sei. Die Klägerin sei unstreitig am 30. April 2018 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. § 4 (4) ZTV II sowie § 10.6.7. sei wirksam, da die Tarifvertragsparteien Urlaubsansprüche, die über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehen frei regeln könnten. Dies schließe a...

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