Entscheidungsstichwort (Thema)

Entzug der Prozesskostenhilfe. Grobe Nachlässigkeit i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Gericht soll die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Vermögensverhältnisse absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

2. Grobe Nachlässigkeit i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO liegt nur bei grober Fahrlässigkeit vor. Danach handelt grob fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Es muss ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten vorliegen. Schlichtes "Vergessen" einer Mitteilung an das Gericht indiziert noch keine grobe Fahrlässigkeit.

 

Normenkette

ZPO § 120a Abs. 2, § 124 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 17.01.2022; Aktenzeichen 5 Ca 1176/20)

 

Tenor

  1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 17.01.2022 - 5 Ca 1176/20 - wird aufgehoben. Das Prozesskostenhilfeverfahren wird an das Arbeitsgericht zur Prüfung zurückgegeben, ob und ggf. in welcher Höhe sich der Kläger mit Raten an den Kosten der Prozessführung zu beteiligen hat.
  2. Kosten werden nicht erhoben.
  3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

A. Der Kläger wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Rechtspflegers des Arbeitsgerichts Lübeck, mit dem ihm die durch das Arbeitsgericht bewilligte Prozesskostenhilfe mangels ausreichender Mitwirkung entzogen worden ist.

Die Parteien haben vor dem Arbeitsgericht einen Kündigungsschutzprozess geführt, der mit einem Vergleichsschluss am 07.07.2020 beendet wurde.

In diesem Verfahren hat der Kläger einen Antrag auf Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Einreichung des amtlichen Erklärungsvordrucks beim Arbeitsgericht gestellt. Dort hat er angegeben, ein reguläres Bruttomonatseinkommen von 1.800,00 EUR zu beziehen. Darauf hat ihm das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 07.07.2020 ratenlose Prozesskostenhilfe bewilligt.

Am 25.10.2021 ist der Kläger durch Verfügung des Arbeitsgerichts aufgefordert worden anzugeben, ob sich die für ihn maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verbessert haben. Aus der darauf vom Kläger eingereichten persönlichen Erklärung über seine wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Belegen ist ersichtlich, dass der Kläger am 01.10.2020 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, in dem er ein Grundgehalt von 2.056,00 EUR brutto bezieht. Hinzu kommen Zuschläge in wechselnder Höhe, die zeitversetzt abgerechnet werden. Beigefügt war eine vom Kläger handschriftlich erstellte persönliche Stellungnahme dazu, warum er die Mitteilung über die Verbesserung seiner persönlichen Verhältnisse nicht zeitnah mitgeteilt hatte. Hierin führt er im Wesentlichen aus, angesichts des Umstands, dass sein Arbeitsverhältnis befristet sei und er zu Anfang nur ein Grundgehalt von netto 1.448,00 EUR erhalten habe, habe er keine starke Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse gesehen. Die Zuschläge seien erst nach und nach hinzugekommen und ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er selbst geringe Einkommensveränderungen hätte melden müssen. Er habe übersehen, dass dies meldepflichtig sei. Er habe nicht bewusst gehandelt.

Mit Beschluss vom 17.01.2022 hat das Arbeitsgericht die dem Kläger bewilligte Prozesskostenhilfe aufgehoben. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, das Bruttoeinkommen des Klägers habe sich gegenüber den ursprünglichen Angaben erheblich verbessert. Seit dem Eintritt dieser Verbesserung bis zur Meldung an das Gericht seien 14 Monate vergangen. Ohne eine PKH-Überprüfung wäre eine Meldung ggf. überhaupt nicht vorgenommen worden. Daher sei von Absicht, mindestens aber grober Nachlässigkeit des Klägers auszugehen. Bereits das Bruttogehalt von 2.056,00 EUR übersteige das in der Vergangenheit bezogene Gehalt um mehr als 200,00 EUR. Allein dieser Umstand löse bereits die Meldepflicht aus. Deswegen sei es nicht erheblich, wenn der Kläger vortrage, sein Gehalt habe sich schleichend erhöht.

Gegen den am 17.01.2022 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 04.02.2022 sofortige Beschwerde eingelegt und ausgeführt, es liege weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vor. Sein Gehalt habe sich langsam und schleichend erhöht. Im Übrigen müsse er sich nach seinen aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen mit Raten an den Kosten der Prozessführung beteiligen, sodass der Staatskasse kein Schaden entstehe.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 16.02.2022 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Akte verwiesen.

B. Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der ...

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