Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Verdachtskündigung eines kommunalen Sachgebietsleiters durch Leiterin des Hauptamtes bei unzureichendem Inkenntnissetzen über Vertretungsverhältnisse im öffentlichen Dienst und fehlender Personalratsanhörung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für das Inkenntnissetzen i. S. d. § 174 Satz 2 BGB genügen im öffentlichen Dienst nicht lediglich intern praktizierte Verwaltungsregelungen, die nicht bekannt gegeben wurden. Dem Erfordernis der Inkenntnissetzung ist nicht bereits dann genüge getan, wenn der Arbeitnehmer irgendwie die Möglichkeit hat, die Kündigungsbefugnisse der Amtsleiter oder anderer Mitarbeiter irgendwie über öffentlich zugängliche Stellen (Internet/Intranet) selbst herauszufinden. Vielmehr ist ein zusätzliches Handeln des Vertretenen zur Information des Arbeitnehmers erforderlich (BAG, Urteil vom 14.04.2011 - 6 AZR 727/09 -). Nicht ausreichend ist, dass der Vertreter selbst den Arbeitnehmer ausdrücklich durch den Zusatz "in Vertretung" oder konkludent darauf hinweist, dass er kündigungsbefugt ist.

2. Im Rahmen einer ordnungsgemäßen Anhörung zur Verdachtskündigung muss der Arbeitgeber dem Personalrat auch ihm bekannte, den Arbeitnehmer entlastende Umstände mitteilen. Dies gilt insbesondere für Rechtfertigungsgründe, die der Arbeitnehmer bei seiner persönlichen Anhörung vorgebracht hat, auch wenn der Arbeitgeber diese für unbeachtlich oder unwahr hält.

 

Normenkette

BGB §§ 134, 174 S. 1, §§ 242, 611 Abs. 1, §§ 613, 626 Abs. 1; GO SH § 63 Abs. 1, § 64 Abs. 1 S. 4 Nr. 4; MBG SH § 51 Abs. 1 S. 1; MBG SH § 52 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 16.08.2012; Aktenzeichen 2 Ca 273 a/12)

 

Tenor

  • 1.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 16. August 2012, Az. 2 Ca 273 a/12, wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 16. August 2012, Az. 2 Ca 273 a/12, soweit die Klage abgewiesen worden ist abgeändert, und die Beklagte verurteilt, den Kläger als Angestellten mit der Tätigkeit entsprechend der Entgeltgruppe 12 TVöD/VKA über den 28. Februar 2012 hinaus weiter zu beschäftigen.

  • 3.

    Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

  • 4.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten - soweit durch das vorliegende Teilurteil entschieden - um die Rechtswirksamkeit einer seitens der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung sowie die davon abhängige Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der 52-jährige, verheiratete Kläger ist bei der beklagten Stadt unter Anrechnung seiner Beschäftigungszeit bei der Gemeinde E. seit dem 01.10.1999, zuletzt als Sachgebietsleiter der Stabsstelle Außenstelle E., beschäftigt. Er ist eingruppiert in die EntgGr.12 TVöD, sodass sein Monatsgehalt € 4.496,75 brutto beträgt. Auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages bilden die Beklagte und die Gemeinde E. seit dem 01.01.2007 eine Verwaltungsgemeinschaft. Dies bedeutet, dass die Stadtverwaltung N. mit ihren Beschäftigten die Verwaltungsaufgaben der Gemeinde E. mit erledigt. Infolgedessen ging das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß dem Personalüberleitungsvertrag vom 14.12.2006 mit Wirkung ab dem 01.01.2007 von der Gemeinde E. auf die Beklagte über. Als Leiter der Stabsstelle der Außenstelle E. obliegt dem Kläger die Gesamtleitung der Außenstelle E.. Die Stelle des Klägers ist dem Bürgeramt zugeordnet. Nicht zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers zählen diverse für die Kommunalbetriebe E. AöR (künftig: KBE) zu erbringende Verwaltungsaufgaben; dies ergibt sich aus dem Vermerk der Beklagten vom 21.09.2007 (Bl. 260-263 d. A.) in Verbindung mit dem Schreiben der KBE vom 11.03.2010 (Bl. 264 f. d. A.).

Der Kläger ist Inhaber der Fa. I. 2000 e.K. (künftig: Fa. I.). Am 27.08.2007 schloss die Fa. I., vertreten durch den Kläger, mit den KBE einen Beratungsvertrag mit einer Laufzeit bis zum 31.11.2011 (Blatt 78-81 d. A.). Vertragsgegenstand war, dass die Fa. I. die KBE bei der Biogaserzeugung, der Fernwärmenetzfunktion und deren Betrieb, der Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung und der Telekommunikation, dem Betrieb des Freibades und der Blockheizkraftwerke beraten und mit Externen Vertragsverhandlungen führen sowie den Betrieb der technischen Anlagen und Bauwerke sicherstellen sollte. Das vertragliche Honorar der Fa. I. betrug ab 2008 € 41.400,00 jährlich. Der Beratungsvertrag wurde seitens der KBE durch den Vorstandsvorsitzenden T. unterzeichnet. Dieser war zugleich hauptamtlicher Stadtrat und somit Beamter auf Zeit der Beklagten. Der Kläger war zudem bei der KBE als Prokurist angestellt und erhielt aufgrund des Beschlusses des Verwaltungsrates der KEB vom 11.09.2007 hierfür ein Jahresgehalt von € 23.400,00 (Bl. 82 f. d. A.). Am 14.11.2007 zeigte der Kläger der Beklagten folgende Nebentätigkeiten an "Führung der Fa. I. 2000 e.K., Projektleitung - Beratungen" sowie "Prokurist KBE" (Bl. 68 d. A.). Diese Nebentätigkeitsanzeige wiede...

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