Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugang der Kündigung als Voraussetzung für Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB. Kein Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB bei gleichzeitigem Kündigungsrecht des Arbeitgebers. Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung bei Betriebsstilllegung

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine wegen Betriebsstilllegung erklärte ordentliche Kündigung setzt den ernstlichen und endgültigen Entschluss des Unternehmers voraus, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuheben. Sie kann bereits erklärt werden, wenn die Umstände einer Betriebsstilllegung schon greifbare Formen angenommen haben und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass bis zum Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist die Stilllegung durchgeführt sein wird.

 

Orientierungssatz

Orientierungssatz:

1. Fehlt es am Vortrag zum Zugang der Kündigung, ist eine Klage auf Schadensersatz nach § 628 Abs 2 BGB unschlüssig, denn ohne Zugang der Kündigung beim Empfänger liegt keine fristlose Vertragsbeendigung vor, welche Voraussetzung eines Anspruchs nach § 628 Abs 2 BGB ist.

2. Ein Entschädigungsanspruch nach § 628 Abs 2 BGB wegen des Verlustes des Bestandsschutzes ist dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Arbeitnehmerkündigung das Arbeitsverhältnis seinerseits selbst hätte kündigen dürfen. Dies ist anzunehmen, wenn ein Kündigungsgrund im Sinne der § 1 Abs 2 KSchG oder § 626 BGB bzw. § 15 Abs 4 oder 5 KSchG bestanden hätte (hier: Betriebsstilllegung).

3. Teilweise Parallelentscheidung zu den Urteilen des Gerichts vom 30. Juni 2020 - 4 Sa 139/18 sowie 4 Sa 109/18.

 

Normenkette

BGB § 628 Abs. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2, § 15 Abs. 5, 4; InsO § 178 Abs. 3, § 209 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 13.12.2017; Aktenzeichen 5 Ca 3381/16)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerseite gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 13.12.2017 - 5 Ca 3381/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die klagende Partei nimmt in der Berufungsinstanz den Beklagten in seiner Funktion als Insolvenzverwalter über das Vermögen der der B I GmbH, einem Unternehmen der Baubranche, noch auf Feststellung eines Schadensersatzanspruchs nach § 628 Abs. 2 BGB in Anspruch.

Das Arbeitsverhältnis der 1955 geborenen klagenden Partei bestand seit Mai 2006, zunächst mit der E GmbH und ging im Wege eines Betriebsübergangs am 11.10.2013 auf die B GmbH über. Zum 01.01.2015 erfolgte ein weiterer Betriebsübergang auf die B I GmbH, die ihren Sitz in B hatte. Wie einer Pressemitteilung des Beklagten vom 05.08.2015 zu entnehmen ist, beschäftigte die B I GmbH zum Zeitpunkt des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10.07.2015 rund 440 Arbeitnehmer, und zwar an ihrem Sitz in B 230 Mitarbeiter, in der Betriebsstätte I 50 Mitarbeiter und in der Betriebsstätte O, wo die klagende Partei tätig war, 160 Mitarbeiter. Auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr als Angestellte beschäftigten Arbeitnehmer gelangte kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) zur Anwendung. Für die gewerblichen Arbeitnehmer war der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Baugewerbe (BRTV-Bau) anwendbar. In der Lohn- und Gehaltsabrechnung 12.2014 ist als Mitarbeiterstatus der klagenden Partei "gewerblich" eingetragen.

Im Jahr 2014 und im ersten Halbjahr 2015 kam es im Unternehmen zu erheblichen Ergebniseinbußen.

Folge davon waren Liquiditätsschwierigkeiten, so dass immer weniger Lieferanten pünktlich bezahlt wurden, was zu Materiallieferengpässen führte. Im Monat Mai 2015 erhielten die gewerblichen Arbeitnehmer von dem Beklagten zum Fälligkeitstermin am 15.06.2015 kein Entgelt ausgezahlt. Später erhielten die gewerblichen Arbeitnehmer auf die Vergütung für den Monat Mai 2015 eine Zahlung i. H. v. 600 € netto.

Das Entgelt für den Monat Juni 2015 zahlte die B I GmbH weder an die gewerblichen Arbeitnehmer noch an die Angestellten. Zum Zeitpunkt der Fälligkeitstermine war die B I GmbH nicht dazu in der Lage, die Vergütungen der Arbeitnehmer zu leisten.

Unter dem 10.07.2015 stellte der Geschäftsführer der B I GmbH (zukünftig: Insolvenzschuldnerin) beim Amtsgericht B einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Gesellschaft. Das Amtsgericht B hat in diesem Insolvenzverfahren unter dem Geschäftszeichen 80 IN 554/15 ebenfalls am 10.07.2015 folgende Anordnungen getroffen:

"Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wird Rechtsanwalt W ... bestellt.

Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens sind nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO).

Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin.

Er hat die Aufgabe, durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu sichern und zu erhalten.

..."

In einem gemeinsamen Schreiben des Geschäftsführers de...

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