Entscheidungsstichwort (Thema)

Abmahnungserfordernis. Prognoseprinzip

 

Leitsatz (redaktionell)

Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt wiederum vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose. Die Abmahnung ist zugleich aber auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung künftig zu beseitigen. Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des Vertrauensbereichs zu beachten.

 

Normenkette

BGB §§ 626, 314 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Halle (Saale) (Urteil vom 12.08.2009; Aktenzeichen 8 Ca 709/08)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 12.08.2009 – 8 Ca 709/08 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Beklagten.

Die Klägerin war seit 01.09.2007 als Pflegehilfskraft zuletzt aufgrund des (befristeten) Arbeitsvertrages vom 01.09.2008 (Bl. 3 – 15 d.A.) für den Beklagten in der von ihm betriebenen „V.”, einem Haus zum betreuten Wohnen, tätig. In § 20 dieses Arbeitsvertrages heißt es:

(1) Die Beschäftigung erfolgt unter der Voraussetzung fachlicher und gesundheitlicher

Eignung für die vorgesehene Aufgabe. Dem Arbeitnehmer ist es untersagt, alkoholische Getränke und Drogen während der Dienst- oder Pausenzeit zu sich zu nehmen. Zudem ist es untersagt, im angetrunkenen Zustand oder unter Einfluss von Drogen zum Dienst zu erscheinen. Im gesamten Unternehmen herrscht absolutes Drogen- und Alkoholverbot. Ein Verstoß hiergegen ist Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 18.02.2009 (Bl. 16 d.A.) außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Er stützt diese Kündigung auf vorsätzliche Verstöße der Klägerin gegen das bestehende Alkoholverbot.

Zu den Aufgaben der Klägerin als Pflegehilfskraft gehörten im Wesentlichen die Zubereitung von Mahlzeiten, das Waschen und Zubettbringen der Patienten sowie das Reichen von bereitgestellten Medikamenten und Speisen. Verantwortlich war die Klägerin für ca. 10 bis 14 pflegebedürftige Bewohner der „V.”. Ihr Einsatz erfolgte zuletzt überwiegend in der Spätschicht, in der sie ohne weitere Unterstützung von Kollegen tätig war.

Die Klägerin hält die streitbefangene außerordentliche Kündigung für rechtsunwirksam. Sie bestreitet die Kündigungsgründe. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist von ihr nicht angegriffen worden, so dass nach ihrer Auffassung das Arbeitsverhältnis der Parteien erst durch diese Kündigung zum 31.03.2009 beendet worden ist.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 18.02.2009 nicht zum 18.02.2009 aufgelöst worden ist, sondern fristgerecht zum 31.03.2009 endet.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, die Klägerin sei am 20.01.2009 gegen 6.00 Uhr früh zum Dienstantritt stark alkoholisiert im Betrieb erschienen. Sie sei nicht in der Lage gewesen, koordinierte Bewegungen auszuführen. Auch einfachste Arbeiten habe sie nicht erledigen können. Bereits zuvor, insbesondere am 17.12.2008 und am 15.01.2009, sei der der Klägerin vorgesetzten Teamleiterin K. aufgefallen, dass diese ihren Dienst unter Alkoholeinfluss abgeleistet habe, was die Klägerin in einem sich anschließenden Gespräch mit der Teamleiterin am 15.01.2009 auch eingeräumt und bedauert habe.

Erstmals hierüber informiert worden sei der Beklagte durch die Pflegedienstleiterin Tschau am 04.02.2009. Nach weiteren, durch einen Ferienaufenthalt des Beklagten unterbrochenen Aufklärungsgesprächen mit Kollegen und auch mit Patienten, bei denen zutage gekommen sei, dass die Klägerin wiederholt Patienten nicht ordnungsgemäß betreut habe, habe er – unstreitig – mit der Klägerin am 18.02.2009 ein Personalgespräch geführt. In diesem Gespräch habe die Klägerin den Vorfall vom 20.01.2009 eingeräumt und versichert, ein solcher werde sich nicht wiederholen.

Im Zeitraum zwischen dem 20.01.2009 und dem 18.02.2009 war die Klägerin unstreitig zunächst bis zum 08.02.2009 arbeitsunfäh...

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