Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Berufungsverfahren wegen nachträglich entstandener Einwendungen gegen den titulierten Anspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil wegen nachträglich entstandener Einwendungen (hier: Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung und erneute Kündigung) erfolgt im Berufungsrechtszug, d. h. außerhalb der Vollstreckungsabwehrklage, in entsprechender Anwendung von § 769 ZPO. Sie setzt daher nur überwiegende Erfolgsaussichten für die gegen die Weiterbeschäftigung erhobenen nachträglichen Einwendungen voraus; der Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils i. S.v. § 62 I ArbGG bedarf es darüber hinaus nicht.

 

Normenkette

ArbGG § 62 I; ZPO § 707 I, § 719 I, § 769

 

Verfahrensgang

ArbG Dessau (Urteil vom 09.04.2002; Aktenzeichen 6 Ca 385/01)

 

Tatbestand

I.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 09.04.2002 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 21.11.2001 hinaus fortbesteht und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers als kaufmännischen Angestellten mit einem monatlichen Festgehalt von 8.947,61 EUR brutto bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits verurteilt. Weiterhin hat es die Beklagte zur Zahlung rückständiger Vergütung für die Monate Januar und Februar verurteilt und den Antrag des Klägers auf Zahlung künftiger Vergütung für die Monate März 2002 – März 2003 als unzulässig zurückgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien im Umfang ihres jeweiligen Unterliegens Berufung eingelegt. Mit Schreiben vom 05.08.2002, dem Kläger zugegangen am 08.08.2002, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich gekündigt. Die Kündigung stützt sich auf neue Gründe. Nachdem die Beklagte eine vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers gemäß dem Weiterbeschäftigungsausspruch im Urteil vom 09.04.2002 mit Blick auf die erneute Kündigung ablehnte, hat der Kläger mit Antrag vom 21.08.2002 die Festsetzung eines Zwangsgeldes und ersatzweise Zwangshaft gegen die Beklagte wegen der Nichtvornahme der urteilsgemäßen Weiterbeschäftigung des Klägers beantragt. Mit Beschluss vom 04.09.2002 hat das Arbeitsgericht dem Antrag stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde vom 05.09.2002, beim Arbeitsgericht Dessau eingegangen am 09.09.2002. Außerdem beantragt sie mit am 09.09.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 06.09.2002 vorliegend,

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Dessau – 6 Ca 385/01 – einzustellen.

Zur Begründung des Antrages verweist sie in erster Linie auf die erneute außerordentliche Kündigung vom 05.08.2002 und im weiteren darauf, dass die Weiterbeschäftigung für sie einen nicht ersetzbaren Nachteil entstehen lasse.

Demgegenüber hält der Kläger die neuerliche Kündigung für offenkundig unwirksam, da sie gegen das Maßregelungsverbot verstoße (§ 612 a BGB) und die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt sei. Zudem diene der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht der Abwendung unersetzlicher Nachteile, sondern reinen Vermögensinteressen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag der Beklagten auf Einstellung der Zwangsvollstreckung ist zulässig und begründet.

1.

Zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung ist das Prozessgericht, im Berufungsrechtszug somit das Berufungsgericht. Die Entscheidung bedarf gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 719 Abs. 3 ZPO keiner mündlichen Verhandlung; gemäß §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 7 ArbGG trifft sie in diesem Fall der Kammervorsitzende allein.

2.

Die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung liegen vor.

a)

Die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den grundsätzlich vorläufig vollstreckbaren arbeitsgerichtlichen Urteilen ist gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nur ausnahmsweise zulässig. Der Schuldner muss glaubhaft machen, dass ihm die Vollstreckung einen unersetzlichen Nachteil bringen werde. Davon ist nach dem Vorbringen der Beklagten hier allerdings nicht auszugehen.

Die vorläufige Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Bestandsklage stellt für sich allein regelmäßig keinen unersetzbaren Nachteil i. S.v. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG dar, selbst wenn später die Wirksamkeit der Kündigung festgestellt würde. Der Arbeitgeber erhält nämlich mit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers einen Gegenwert. Voraussetzung für die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist daher, dass durch die Beschäftigung selbst ein wirtschaftlicher oder immaterieller Nachteil einzutreten droht, für den aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ersatz vom Arbeitnehmer nicht erlangt werden könnte. Es genügt nicht, dass ein vollzogenes Arbeitsverhältnis nicht mehr rückabwickelbar ist (BAG GS v. 27.02.1985, NZA 1985, 702; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, A...

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