Entscheidungsstichwort (Thema)

Entbehrlichkeit des unersetzbaren Nachteils bei Einstellung der Zwangsvollstreckung nach ausgesprochener Folgekündigung. Erlöschen des vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruchs bei ordentlicher Folgekündigung mit Freistellungsklausel. Unbeachtlichkeit eines erstinstanzlich nicht gestellten Schutzantrags

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bestreitet der Arbeitgeber den vom Arbeitsgericht ausgeurteilten vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch im Rechtsmittel auch unter Hinweis auf eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausgesprochene Folgekündigung, bedarf es insoweit für die Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht der Glaubhaftmachung eines unersetzbaren Nachteils (offen gelassen in BAG 05.06.2018 - 10 AZR 155/18 (A)).

2. Eine ordentliche Folgekündigung mit sofortiger Freistellung aufgrund Freistellungsklausel kann den titulierten vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch bereits ab ihrem Zugang mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entfallen lassen.

 

Normenkette

ZPO §§ 707, 719, 769; ArbGG § 62; ZPO § 767 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.05.2020; Aktenzeichen 1 Ca 5532/19)

 

Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 29.05.2020 - 1 Ca 5532/19 - wird hinsichtlich der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung als Vice President, Central Europe Region gemäß Ziffer 3. des Urteilstenors einstweilen eingestellt.

 

Gründe

I.

Die Beklagte begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem gegen sie gerichteten erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.06.2008 als Vice President Central Europe Region zu einem Bruttojahresentgelt von ca. 590.000,00 € beschäftigt. In Art. 1.5 des Arbeitsvertrages vom 02.02.2018 heißt es:

"Im Falle einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung und unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen von der Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freizustellen."

Mit Schreiben vom 09.10.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger ordentlich zum 31.01.2020 und stellte ihn zugleich von der Arbeitsleistung frei.

Auf die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom 29.05.2020 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Ferner hat es die Beklagte antragsgemäß verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Vice President, Central Europe Region, weiter zu beschäftigen. Gegen das am 06.07.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.07.2020 Berufung eingelegt.

Mit Schreiben vom 29.07.2020, dem Kläger zugegangen am 31.07.2020, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut ordentlich zum 31.10.2020 und stellte den Kläger für die Zeit der Kündigungsfrist von der Arbeitsleistung unwiderruflich frei.

Mit ihrem am 17.08.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt sie die vorläufige Einstellung der vom Kläger betriebenen Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Weiterbeschäftigungstitel. Sie macht geltend, dass im Hinblick auf die von ihr bereits erstinstanzlich vorgetragene Umorganisation der Betriebshierarchie eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht bestehe. Der Weiterbeschäftigung des Klägers stehe zudem seine Arbeitsunfähigkeit entgegen. Nach einem Unfall des Klägers im März 2019 sei dieser wiederholt arbeitsunfähig gewesen und habe nach eigener Darstellung langfristige, irreversible Gesundheitsschäden erlitten. Es sei anzuzweifeln, dass der Kläger seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt habe. Entsprechende ärztliche Bescheinigungen habe er nicht vorgelegt. Unstreitig hat der Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.01.2020 zeitweilig seine Arbeit verrichtet.

Schließlich macht die Beklagte geltend, dass der Beschäftigungsanspruch wegen der erneuten zwischenzeitlichen Kündigung vom 29.07.2020 zum 31.10.2020 und der gleichzeitig erklärten unwiderruflichen Freistellung mit sofortiger Wirkung materiell-rechtlich entfallen sei. Diese Kündigung werde auf den Gesichtspunkt des versuchten Prozessbetruges gestützt. So habe der Kläger erstinstanzlich Annahmeverzugslohn in beträchtlicher Höhe gerichtlich geltend gemacht, obwohl er in dem betreffenden Zeitraum wiederholt über längere Zeiträume arbeitsunfähig krank gewesen sei (20.01.2020 bis 24.04.2020), wie er erst auf Vorhalt der Beklagten im Rechtsstreit zugestanden habe. Die Beklagte habe daher jegliches Vertrauen in die Redlichkeit des Klägers verloren.

Der Kläger hält den Antrag für unbegründet. Über die Frage der organisatorischen Änderung der Betriebshierarchie und den Wegfall des Arbeitsplatzes habe bereits das Arbeitsgericht erkannt, sie könne im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht abweichend beurteilt werden. Seine zeitweilige Erkrankung stehe dem Weiterbeschäftigungsbegehren nicht entgegen. Jedenfalls sei er s...

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