Entscheidungsstichwort (Thema)

Auszählung der Betriebsratswahl nach d‚Hondt. Unbegründete Wahlanfechtung bei unerheblichen Einwendungen gegen die gesetzlichen Vorgaben zur Stimmauszählung bei Verhältniswahl

 

Leitsatz (amtlich)

Der Verordnungsgeber war im Hinblick auf § 15 Abs. 2 WahlO nicht gehalten, das Verfahren nach Hare/Niemeyer oder Sainte-Lague/Schepers zur Ermittlung der Sitzverteilung vorzuschreiben. Das Auszählverfahren nach d’Hondt konnte im Rahmen der Stimmauszählung nach § 15 Abs. 2 WahlO auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG zur Anwendung gelangen.

 

Normenkette

WahlO § 15 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 19 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 12.03.2015; Aktenzeichen 4 BV 55/14)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 22.11.2017; Aktenzeichen 7 ABR 35/16)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. bis 3. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 12.03.2015 - 4 BV 55/14 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligten zu 1. bis 3. zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Beteiligten zu 1. - 4. streiten über die Rechtsmäßigkeit einer Betriebsratswahl.

Der Beteiligte zu 4. ist der im Betrieb "Niederlassung Brief M" der Beteiligten zu 5. aus den Wahlen vom 06.bis 08.05.2014 hervorgegangene Betriebsrat mit insgesamt 17 Mitgliedern. Bei den antragstellenden Beteiligten zu 1. bis 3. handelt es sich um wahlberechtigte Arbeitnehmer dieses Betriebes.

Nach dem von dem Wahlvorstand am 08.05.2014 bekannt gegebenen Wahlergebnis erfolgte die Sitzverteilung wie folgt:

1. 306 Stimmen = 4 Sitze

2. 557 Stimmen = 9 Sitze

3. 279 Stimmen = 4 Sitze.

Der Wahlvorstand ermittelte das vorstehend aufgeführte Wahlergebnis entsprechend den Vorgaben des § 15 der Wahlordnung zum BetrVG (im Folgenden: WahlO) nach dem d‚Hondtschen Auszählungssystem.

Die Beteiligten zu 1. bis 3. haben die Wahl mit dem am 22.05.2014 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Antrag angefochten. Sie sind der Auffassung, bei der Wahl sei gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens i.S.d. § 19 Abs. 1 BetrVG verstoßen worden. Ein solcher Verstoß liege darin begründet, dass das in der WahlO vorgegebene Wahlverfahren nach d‚Hondt nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Dieses benachteilige in nicht mehr hinzunehmender Weise kleinere Gruppierungen. Um dem aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Wahlgleichheit, insbesondere der Spiegelbildlichkeit zwischen abgegebenen Stimmen und Verteilung der Sitze, zu genügen, sei eine Verteilung der Sitze nach den, den Erfolgswert der jeweiligen Stimme deutlich besser abbildenden Verfahren Hare/Niemeyer oder Sainte-Laguë/Schepers vorzunehmen. Bei Anwendung eines dieser Auszählungssysteme hätte sich - unstreitig - folgende Sitzverteilung ergeben:

1. 306 Stimmen = 5 Sitze

2. 557 Stimmen = 8 Sitze

3. 279 Stimmen = 4 Sitze.

Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit bei Wahlen zu politischen Gremien entschieden, dass dem Gesetzgeber im Hinblick darauf, dass bei allen Verfahren Ungenauigkeiten auftreten, ein Beurteilungsspielraum zukomme, welches Auszählungssystem er zur Anwendung bringe. Nach neuesten mathematischen Forschungen, insbesondere im Bereich der Stochastik, stehe jedoch nunmehr fest, dass dem Auszählungssystem nach d‚Hondt eine deutlich größere Abweichung bezüglich des Erfolgswertes der jeweiligen Wählerstimme innewohne. So ergeben sich bei der hier angefochtenen Wahl nach dem d‚Hondtschen-Verfahren Abweichungen von über 24 %, während die Verfahren nach Hare/Niemeyer und Sainte-Laguë/Schepers nur Abweichungen im Umfang von 16,9 % aufweisen.

Die Beteiligten zu 1. bis 3. haben beantragt,

die im Zeitraum vom 06.05.2014 bis 08.05.2014 stattgefundene Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären.

Der Beteiligte zu 4. hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 5. hat sich an dem Verfahren nicht aktiv beteiligt.

Nach Auffassung des Beteiligten zu 4. liegen keine Gründe für eine erfolgreiche Wahlanfechtung vor. § 19 Abs. 1 BetrVG sehe eine Wahlanfechtung aufgrund der Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung der WahlO gerade nicht vor. Die Norm beschränke sich vielmehr auf die Prüfung von Verstößen gegen das Wahlverfahren als solches. Im Übrigen sei aber auch eine Verfassungswidrigkeit des § 15 WahlO nicht gegeben. Die Unterschiede bei der Ermittlung der Sitzverteilung nach den jeweiligen Auszählverfahren seien nicht derart eklatant, dass der Verordnungsgeber verfassungsrechtlich zwingend die Sitzverteilung nach dem Verfahren Hare/Niemeyer oder Saint-Laguë/Schepers hätte vorgeben müssen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 12.03.2015 den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag habe keinen Erfolg haben können, weil die Wahl im Betrieb "Niederlassung Brief M" der Beteiligten zu 5. nicht gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens i.S.d. § 19 BetrVG verstoße. Der Wahlvorstand habe unstreitig das Wahlergebnis korrekt auf Basis des von § 15 WahlO vorgegebenen Auszählverfahrens ermittelt. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm sei nicht i...

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