Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßige Altersbenachteiligung durch abgestufte Sozialplanregelung für rentennahen Beschäftigte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die unterschiedliche Berechnung einer Sozialplanabfindung für Beschäftigte, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans das 60. Lebensjahr vollendet haben, ist rechtswirksam; die unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung dieser Arbeitnehmergruppe entspricht der Regelung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG.

2. Sozialpläne unterliegen (wie andere Betriebsvereinbarungen) der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle und sind daraufhin zu überprüfen, ob sie mit höherrangigem Recht und insbesondere dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sind.

3. Gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG haben die Betriebsparteien darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in der Vorschrift genannten Gründen unterbleibt; § 75 Abs. 1 BetrVG enthält nicht nur ein Überwachungsgebot sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Beschäftigte auf Grund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden.

4. Die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote sind in § 75 Abs. 1 BetrVG übernommen worden; die unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe ist daher nur unter den im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz normierten Voraussetzungen rechtswirksam, so dass mit ihrem Vorliegen auch der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt ist.

5. Geldleistungen in Form einer Abfindung stellen kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste dar sondern sollen die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlustes ausgleichen oder zumindest abmildern (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG); die Betriebsparteien können diese Nachteile auf Grund ihres Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums in typisierter und pauschalierter Form ausgleichen und die übermäßige Begünstigung, die ältere Beschäftigte mit langjähriger Betriebszugehörigkeit bei einer am Lebensalter und an der Betriebszugehörigkeit orientierten Abfindungsberechnung erfahren, durch eine Kürzung für rentennahe Jahrgänge zurückführen, um eine aus ihrer Sicht verteilungsgerechte Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Betriebsänderung zu Gunsten der jüngeren Beschäftigten zu ermöglichen.

6. Durch die Standardberechnungsmethode werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans bereits das 60. Lebensjahr vollendet haben, überproportional begünstigt, da aufgrund der in die Standardmethode einfließenden Berechnungsfaktoren "Betriebszugehörigkeit" und "Lebensalter" die Sozialplanabfindung mit zunehmendem Lebensalter ansteigt.

7. Ein Systemwechsel in der Berechnungsmethode ist nicht unangemessen, wenn die Betriebsparteien eine ältere Beschäftigtengruppe nicht von Sozialplanleistungen ausschließt sondern ihr eine vom Lebensalter abhängige Pauschalabfindung gewährt, deren Höhe sich an der Bezugsmöglichkeit einer (vorgezogenen) Altersrente orientiert.

8. Unionsrechtlich ist es nicht geboten, dass als Abfindung zumindest einen Betrag in Höhe der Hälfte der nach der Standardmethode berechneten Abfindung gewährt wird; ein solches Verständnis ist Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 78/2000/EG vom 27.11.2000 nicht zu entnehmen.

 

Normenkette

AGG § 10 S. 3 Nr. 6; BetrVG § 75 Abs. 1; AGG § 10 S. 2; BetrVG § 112 Abs. 1 S. 2; EGRL 78/2000 Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Fassung: 2000-11-27, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) Fassung: 2000-11-27

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 12.06.2013; Aktenzeichen 4 Ca 64/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 12.06.2013 (Az. 4 Ca 64/13) teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz haben der Kläger 24/25 und die Beklagte 1/25 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Höhe der dem Kläger zustehenden Sozialplanabfindung, konkret über die Differenz zwischen 12.000,00 € brutto und dem unter Zugrundelegung der für die Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, anzuwendenden Berechnungsmethode (im Folgenden: Standardmethode) berechneten Betrag.

Der 1951 geborene, verheiratete Kläger war bei der Beklagten seit dem 24. Mai 1966 beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt ca. 2.450,00 € brutto.

Zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat wurden am 25. Januar 2013 ein Interessenausgleich (Bl. 31 ff. d. A.) sowie ein Sozialplan (Bl. 6 ff. d. A.) vereinbart. Dieser enthält in "§ 2 Abfindungen" folgende Regelungen:

"Alle betroffenen Arbeitnehmer/innen erhalten eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes.

Die Höhe der Abfindung wird wie folgt berechnet:

  • -

    Betriebszugehörigkeit x Monatsentgelt x Faktor =...

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