Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung bei vorgezogener Altersrente. Diskriminierung wegen des Alters. Diskriminierung wegen des Geschlechts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Betriebsparteien können in Sozialplänen für Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen können, eine Reduzierung von Sozialplanleistungen vorsehen. Hieran hat sich durch die Entscheidung des EuGH vom 12.10.2010 – C-499/08 – in Sachen Andersen nichts geändert. Die dort für eine gesetzliche Abfindungsregelung aufgestellten Grundsätze sind auf Sozialpläne nicht übertragbar.

2. Eine Sozialplanregelung, die für rentennahe Arbeitnehmer einen pauschalierten Rentenausgleich vorsieht, diskriminiert weibliche Arbeitnehmer auch dann nicht wegen ihres Geschlechts, wenn diese zu einem früheren Zeitpunkt als „rentennah” gelten, da sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 237a Abs. 1 SGB VI bereits nach Vollendung des 60. Lebensjahres und damit früher als männliche Arbeitnehmer vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen können.

 

Normenkette

BetrVG § 75 Abs. 1; AGG § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 10 S. 3 Nr. 6; SGB VI § 237a Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mönchengladbach (Urteil vom 02.02.2011; Aktenzeichen 2 Ca 3159/10)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 02.02.2011 – Az.: 2 Ca 3159/10 – wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung.

Die am 17.09.1951 geborene Klägerin war in der Zeit vom 15.10.1983 bis zum 31.07.2010 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, zuletzt als Bezirksleiterin beschäftigt. Sie verdiente zuletzt 2.460.– EUR brutto monatlich zzgl. Provision.

Die Beklagte schloss mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat unter dem 05.11.2009 einen Sozialplan ab. In diesem heißt es auszugsweise:

㤠1 Zweck

1.1 Dieser Sozialplan regelt den Ausgleich bzw. die Milderung der Nachteile, die den Arbeitnehmern auf Grund der Maßnahmen entstehen, die Bestandteil des Interessenausgleichs „Schließung des Sammelbestellers-Außendienst (SB-AD)” vom heutigen Tage sind.

§ 2 Abfindung

2.1 Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis auf Grund der in § 1 dieses Sozialplans genannten Maßnahmen endet, sei dies infolge einer betriebsbedingten Kündigung oder einer betrieblich veranlassten Beendigungsvereinbarung, haben Anspruch auf eine Abfindung.

2.2 Die Abfindung berechnet sich nach folgender Formel:

(Bruttoentgelt × Betriebszugehörigkeit × Lebensalter)

dividiert durch 60

2.5 Maximal beläuft sich die Abfindung auf den Betrag, den der Arbeitnehmer bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis bis zum frühest möglichen Zeitpunkt des Anspruchs auf gesetzliche ungekürzte Altersrente brutto verdient hätte.

§ 3 Sonderregelung für rentennahe Arbeitnehmer

3.1 Arbeitnehmer, die bei Ausschöpfung des gesetzlich höchstmöglichen Arbeitslosengeldanspruchs nahtlos einen Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, haben keinen Anspruch auf eine Abfindung nach § 2 dieses Sozialplans.

Auf die tatsächliche Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldanspruches kommt es insoweit nicht an.

3.2 Für Abschläge aus der gesetzlichen Rentenversicherung infolge eines vorzeitigen Bezuges von Altersruhegeld wird eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 270 Euro brutto pro 0,1 % Rentenminderung gezahlt.

…”

Die Beklagte teilte den Bezirksleiter/-innen des Sammelbesteller-Außendienstes in einem von der Leiterin Human Resources sowie dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden unterzeichneten Schreiben vom 05.11.2009 Folgendes mit:

„…

  1. Alle Mitarbeiter/-innen des Sammelbesteller-Außendienstes werden im Laufe des Monats Dezember (keinesfalls jedoch früher) eine betriebsbedingte Kündigung unter Einhaltung der für Sie maßgeblichen arbeitgeberseitigen Kündigungsfrist erhalten…
  2. Die Abfindungsformel lautet: …
  3. „Rentennahe Arbeitnehmer” erhalten eine hiervon abweichende Abfindungsleistung.

Als „rentennah” gelten Arbeitnehmer, die unter Inanspruchnahme des Ihnen maximal zustehenden Arbeitslosengeldanspruches nahtlos eine (ungekürzte oder auch gekürzte) Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nehmen können.

Für Abschläge infolge der vorzeitigen Inanspruchnahme von Altersrente wird ein pauschalierter Rentenausgleich von 270,00 Euro je 0,1% Rentenminderung als Abfindung gezahlt …”

Mit Schreiben vom 11.12.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.07.2010. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Frankfurt a. M. (Az.: 12 Ca 10889/09) eine Kündigungsschutzklage. Diese endete mit einem klageabweisenden Urteil. Das Urteil ist rechtskräftig.

In Anwendung von § 3.2 des Sozialplans steht der Klägerin unstreitig eine Abfindung in Höhe von 40.500.– EUR brutto zu. Zwei männliche Mitarbeiter der Beklagten, Herr N. T., geb. am 12.12.1949 sowie Herr H. T., geb. am 12.05.1951 haben eine Abfindung auf Basi...

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