Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Hinweispflicht des Arbeitgebers auf zusätzlichen Urlaub bei Nichtkenntnis der Schwerbehinderung. Kein Zusatzurlaub aufgrund betrieblicher Übung. Darlegungslast des Arbeitnehmers für betriebliche Übung

 

Leitsatz (amtlich)

Solange der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers hat, besteht für ihn keine Verpflichtung, den Arbeitnehmer - gleichsam prophylaktisch - auf einen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 3; SGB IX § 208 Abs. 1, 3; ZPO § 91 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Trier (Entscheidung vom 23.01.2020; Aktenzeichen 3 Ca 697/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.04.2022; Aktenzeichen 9 AZR 367/21)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 23. Januar 2020 - 3 Ca 697/19 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) hat der Kläger zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger aus den Jahren 2017 und 2018 zusätzlicher Urlaub für schwerbehinderte Menschen von insgesamt 7 Tagen zusteht.

Der Kläger ist bei der Beklagten vollschichtig beschäftigt. In den ihm von der Beklagten für den jeweiligen Monat April der Jahre 2016, 2017, 2018 und 2019 erteilten Verdienstabrechnungen ist jeweils neben dem Urlaubsanspruch für das laufende Jahr auch ein "Rest"-Urlaubsanspruch ausgewiesen (Bl. 7 bis 14 d. A.).

Mit Bescheid vom 05. März 2019 (Bl. 5, 6 d. A.) wurde die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers mit einem Grad der Behinderung von 50 rückwirkend ab dem 11. August 2017 unter Aufhebung des zuvor ergangenen Bescheides vom 24. November 2017 festgestellt. Diesen Bescheid legte der Kläger der Beklagten noch im März 2019 vor, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob dies am 20. März 2019 - so der Kläger - oder erst am 25. März 2019 - so die Beklagte - erfolgte. Zuvor war der Beklagten (nur) bekannt, dass der Kläger einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hatte und dieser abgelehnt worden war. Erstmals Anfang April 2019 verlangte der Kläger von der Beklagten die Gewährung des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen und stellte einen entsprechenden Urlaubsantrag. Daraufhin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 10. April 2019 (Bl. 49 d. A.) mit, dass sein zusätzlicher Urlaub für schwerbehinderte Menschen für die Jahre 2017 und 2018 verfallen sei.

Mit seiner am 08. Juli 2019 beim Arbeitsgericht Trier eingegangenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass ihm für die Jahre 2017 und 2018 zusätzlicher Urlaub für schwerbehinderte Menschen von insgesamt 7 Tagen (anteilig 2 Tage aus dem Jahr 2017 und 5 Tage aus dem Jahr 2018) zustehe, und zur Begründung darauf verwiesen, es entspreche der betrieblichen Übung im Betrieb der Beklagten, dass im Urlaubsjahr nicht genommene Urlaubstage ohne Gründe weder mit Ablauf des Urlaubsjahres noch mit dem 31. März des Folgejahres verfallen, sondern unbegrenzt "mitgenommen" würden.

Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird im Übrigen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 23. Januar 2020 - 3 Ca 697/19 - verwiesen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass ihm für die Jahre 2017 und 2018 im Jahr 2019 zusätzlicher Urlaub für Schwerbehinderte von 7 Tagen zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 23. Januar 2020 - 3 Ca 697/19 - hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

Gegen das ihr am 31. Januar 2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Februar 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 19. Februar 2020 eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 18. März 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 23. März 2020 eingegangen, begründet.

Die Beklagte trägt vor, der geltend gemachte Zusatzurlaub sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts verfallen. Im Hinblick darauf, dass der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen dasselbe Schicksal teile wie der gesetzliche Mindesturlaub, müsse der Zusatzurlaub im laufenden Kalenderjahr oder für den Fall des Vorliegens eines Übertragungstatbestandes bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden. Danach sei der streitgegenständliche Zusatzurlaub verfallen. Hieran ändere auch der von ihrer Seite unterlassene Hinweis bezüglich eines möglichen Verfalls nichts. Sie habe nämlich unstreitig auf den gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX und dessen Verfall noch nicht hinweisen können, weil dieser gerade im Hinblick auf den abgelehnten Antrag des Klägers noch nicht existent gewesen sei. In diesem Zusammenhang verweise sie darauf, dass der Arbeitgeber nach den zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und nachfolgend des Bundesarbeitsgerichts den Arbeitne...

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