Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung bei der Entlohnung von Frauen und Männern. Differenzlohn- und Entschädigungsklage einer Produktionsmitarbeiterin bei unerheblichen Einwendungen der Arbeitgeberin zu Verfall und Verjährung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Machen Arbeitnehmerinnen wegen geschlechtsbezogener Entgeltdiskriminierung Vergütungsdifferenzen zum Lohn, der den Männern gezahlt worden ist, geltend, handelt es sich um Erfüllungsansprüche, die nicht der Frist des § 15 Abs. 4 AGG unterliegen.

2. Vergütet ein Arbeitgeber Frauen bei gleicher Tätigkeit wegen ihres Geschlechts geringer als Männer, steht den Frauen ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu.

3. Vorliegend ist für die mit der geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung verbundene Persönlichkeitsverletzung für jede betroffene Frau ein einheitlicher Entschädigungsbetrag von EUR 6.000, angemessen (im Anschluss an 5 Sa 509/13 u.a.).

 

Normenkette

AGG § 15 Abs. 1-2, 4, § 7 Abs. 1; ArbGG § 61b Abs. 1; BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 27.08.2013; Aktenzeichen 9 Ca 373/13)

 

Tenor

  1. Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27. August 2013, Az. 9 Ca 373/13, unter Aufrechterhaltung im Übrigen in Ziff. I.2 und Ziff. I.3 abgeändert und

    insoweit wie folgt neu gefasst:

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung iHv. € 6.000,00 zu zahlen.

    Die Auskunftsklage wird abgewiesen.

  2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 24 % und die Beklagte 76 % zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Zahlung von Differenzlohn für die Jahre von 2009 bis 2012, einer Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sowie um Auskunftsansprüche.

Die Beklagte stellt Schuhe her. Die 1964 geborene Klägerin ist bei ihr seit 04.10.1994 als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Die Beklagte zahlte bis 31.12.2012 den in der Produktion beschäftigten Frauen bei gleicher Tätigkeit einen geringeren Stundenlohn als den Männern. Die Anwesenheitsprämie (5 % des Bruttolohns), das Weihnachtsgeld (40 % des Bruttolohns) und das Urlaubsgeld (46,5 % des Bruttolohns) berechnete die Beklagte für Frauen bis 31.12.2012 ebenfalls auf der Grundlage des niedrigeren Stundenlohns. Die Vergütungsdifferenz im Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 betrug - was zweitinstanzlich rechnerisch unstreitig ist - € 9.229,90 brutto.

Die geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung bei der Entlohnung von Frauen und Männern ist der Klägerin spätestens seit einer Betriebsversammlung, die im September 2012 stattfand, bekannt. Ob sie bereits seit einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von dieser Ungleichbehandlung hatte, ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 09.11.2012 machte die Klägerin Ansprüche wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung geltend. Am 18.12.2012 verzichtete die Beklagte in einer Vereinbarung mit der Klägerin auf die Einrede der Verjährung für Ansprüche, die nicht bereits an diesem Stichtag verjährt waren. Ansonsten erhob sie in dem von der Klägerin am 29.01.2013 anhängig gemachten vorliegenden Klageverfahren die Einrede der Verjährung.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27.08.2013 Bezug genommen.

Die Klägerin hat - soweit für die Berufung von Bedeutung - erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  1. ihr wegen Verstoßes gegen das AGG rückständigen Lohn iHv. € 11.458,84 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 12.12.2012 zu zahlen,
  2. ihr wegen Verstoßes gegen das AGG eine angemessene Entschädigung, die sich jedoch auf mindestens € 9.194,50 belaufen soll, zu zahlen,
  3. ...
  4. ihr umfassend Auskunft darüber zu erteilen, ob sie auch bereits vor dem 01.01.2009 aufgrund ihres Geschlechts hinsichtlich des Lohns und der übrigen Vergütungsbestandteile, insb. des Weihnachtsgelds, des Urlaubsgelds und der Anwesenheitsprämie ungleich behandelt worden ist und wenn ja, in welcher Höhe eine geringere Bezahlung als bei den männlichen Kollegen stattfand,

    ...

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 27.08.2013 - soweit für die Berufung von Bedeutung - der Klage teilweise stattgegeben. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte in Ziff. I.1 des Tenors verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 Differenzvergütung iHv. € 9.229,90 brutto zu zahlen. Außerdem hat es der Klägerin in Ziff. I.2. eine Entschädigung iHv. € 4.917,97 zugesprochen und in Ziff. I.3 der Auskunftsklage (Antrag zu 4) stattgegeben.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Klägerin habe gem. § 15 Abs. 1 AGG einen Schadensersatzanspr...

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