Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidrige Kürzung der Betriebsrente bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zu rechtsmissbräuchlichem Verhalten des ehemaligen Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Grobe Pflichtverletzungen, die ein Arbeitnehmer begangen hat, berechtigen die Arbeitgeberin nur dann zum Widerruf der Versorgungszusage, wenn die Berufung des Versorgungsberechtigten auf die Versorgungszusage dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt ist.

2. Der Rechtsmissbrauchseinwand kann dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin durch grobes Fehlverhalten einen nicht behebbaren, insbesondere durch Ersatzleistungen nicht wiedergutzumachenden schweren Schaden zugefügt hat; stützt sich die Arbeitgeberin auf die Verursachung eines Vermögensschadens durch den Arbeitnehmer, kann sie die Versorgungszusage nur dann widerrufen, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten in grober Weise verletzt und der Arbeitgeberin hierdurch einen existenzgefährdenden Schaden zugefügt hat.

3. Auch im Fall eines nachvertraglichen treuwidrigen Verhaltens eines ehemaligen Arbeitnehmers ist ein (teilweiser) Widerruf der Versorgungszusage nur dann gerechtfertigt, wenn sich das treuwidrige Verhalten schwerwiegend auf das Unternehmen des ehemaligen Arbeitgebers auswirkt und deshalb die Einstellung oder Kürzung der Versorgungsleistungen nicht außer Verhältnis zu Art, Ausmaß und Folgen der Verletzung steht.

4. Vertragliche Vereinbarungen, die der Arbeitgeberin ohne Anknüpfung an ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitnehmers oder Betriebsrentners das Recht zum Widerruf der Versorgungszusage einräumen, sind unwirksam.

 

Normenkette

BetrAVG § 1b Abs. 1; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 02.06.2015; Aktenzeichen 7 Ca 4361/14)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 08.03.2017; Aktenzeichen 3 AZN 886/16 (A))

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom2.6.2015 - 7 Ca 4361/14 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständige Betriebsrente für die Monate Oktober 2014 bis Mai 2015 in Höhe von insgesamt 13.551,04 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 1.693,88 € seit dem 1.11.2014, 1.12.2014, 1.1.2015, 1.2.2015, 1.3.2015, 1.4.2015, 1.5.2015 und 1.6.2015.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit September 2015 bis einschließlich Juni 2016 zum Ende jeden Monats 6.843,30 € brutto,

      beginnend mit Juli 2016 bis einschließlich Juni 2017 zum Ende jeden Monats 6.911,73 € brutto,

      beginnend mit Juli 2017 bis einschließlich Juni 2018 zum Ende jeden Monats 6.980,85 € brutto,

      beginnend mit Juli 2018 bis einschließlich Juni 2019 zum Ende jeden Monats 7.050,66 € brutto,

      beginnend mit Juli 2019 bis einschließlich Juni 2020 zum Ende jeden Monats 7.121,17 € brutto,

      beginnend mit Juli 2020 bis einschließlich Juni 2021 zum Ende jeden Monats 7.192,38 € brutto,

      beginnend mit Juli 2021 bis einschließlich Juni 2022 zum Ende jeden Monats 7.264.30 € brutto,

      beginnend mit Juli 2022 bis einschließlich Juni 2023 zum Ende jeden Monats 7.336,94 € brutto,

      beginnend mit Juli 2023 bis einschließlich Juni 2024 zum Ende jeden Monats 7.410.31 € brutto,

      beginnend mit Juli 2024 bis einschließlich Juni 2025 zum Ende jeden Monats 7.484,41 € brutto,

      beginnend mit Juli 2025 bis einschließlich Juni 2026 zum Ende jeden Monats 7.559,25 € brutto,

      beginnend mit Juli 2026 bis einschließlich Juni 2027 zum Ende jeden Monats 7.634,84 € brutto,

      und beginnend mit Juli 2027 zum Ende jeden Monats 7.711,19 € brutto zu zahlen.

    3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Steuerschaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstanden ist, dass die Beklagte ihm im Jahr 2014 5.081,64 € brutto zu wenig an Betriebsrente gezahlt und diesen Betrag im Jahr 2015 nachgezahlt hat.
    4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
    5. Die Widerklage wird abgewiesen.
  • II.

    Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

  • III.

    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten, die dem Kläger aufgrund einer Versorgungszusage zustehende Betriebsrente zu kürzen.

Der Kläger war vom 01.11.1984 bis zum 31.05.2008 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Leiter der Stabsabteilung Recht beschäftigt. Seit dem 01.06.2008 bezieht er von der Beklagten eine Betriebsrente auf der Grundlage einer Versorgungsordnung vom 17.11.1998, hinsichtlich deren Inhalts im Einzelnen auf Blatt 55 - 61 d.A. Bezug genommen wird und die u.a. folgende Bestimmung enthält:

"§ 21

Widerrufsvorbehalte

1. Die Firma behält sich vor, diese Versorgungsordnung zu ändern bzw. die Betriebsrenten zu kürzen oder einzustellen, wenn

.....

- der Versorgungsanwärter oder Betriebsrentner Handlungen begeht, die in grober Weise gegen Treu und Glauben verstoßen oder zu einer fristlosen Entlassung berechtigen würden. ..."

Die Betrie...

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