Entscheidungsstichwort (Thema)

Die Systematik der Stufenklage i.S.d. § 254 ZPO. Ablösung einer Altersversorgungszusage bei schädigendem Verhalten des Arbeitnehmers. Deklaratorische Verweisung auf Rechtsmissbrauchseinwandsklausel in Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag. Rechtsmissbräuchliches Versorgungsverlangen bei Verursachung eines Vermögensschadens durch den Arbeitnehmer. Auslegung eines unzulässigen Erlassvertrags als schuldrechtliches "pactum de non petendo"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Weder den Betriebspartnern noch den Arbeitsvertragsparteien steht eine Regelungsbefugnis zu, ein von den allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands (§ 242 BGB) abweichendes - weitergehendes - Recht des Arbeitgebers, sich bei schädigendem Verhalten eines Arbeitnehmers von einer zugesagten Altersversorgung zu lösen, zu regeln (offengelassen, ob die Tarifvertragsparteien eine derartige Regelungsbefugnis haben).

2. Die inhaltsgleiche Überführung einer als deklaratorische Verweisung auf die allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands auszulegenden Klausel aus einer (Gesamt-)Betriebsvereinbarung in ein tarifliches Regelungswerk führt ohne besondere Anhaltspunkte nicht dazu, dass die Klausel nunmehr eine weitergehende, konstitutive Wirkung hat.

3. Stützt sich der Arbeitgeber auf die Verursachung eines Vermögensschadens durch den Arbeitnehmer, ist das Versorgungsverlangen des Arbeitnehmers nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn entweder der Arbeitnehmer die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft durch Vertuschung seiner schweren Verfehlungen erschlichen hat oder er seine Pflichten in grober Weise verletzt und dem Arbeitgeber hierdurch einen existenzgefährdenden Schaden zugefügt hat.

4. Ein Erlassvertrag des Arbeitgebers mit einem Dritten zugunsten des Arbeitnehmers ist zwar nicht möglich, weil verfügende Verträge zugunsten Dritter unzulässig sind. Eine derartige Abrede ist indes regelmäßig als schuldrechtliches pactum de non petendo zugunsten des Arbeitnehmers auszulegen. Eine Aufrechnung des Arbeitgebers mit einer derart "erlassenen" Forderung scheitert dann an § 390 BGB.

5. Analog § 538 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZPO kann das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Stufenklage insgesamt abgewiesen hat, das Berufungsgericht hingegen dem Auskunftsanspruch stattgibt (offengelassen, ob es hierfür eines Antrags bedarf).

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei der Stufenklage wird ein der Höhe oder dem Gegenstand nach noch unbekannter und daher entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO noch nicht zu beziffernder Leistungsanspruch zugleich mit den zu seiner Konkretisierung erforderlichen Hilfsansprüchen auf Auskunft und ggf. Richtigkeitsversicherung erhoben. Die in der ersten Stufe verlangte Auskunft muss für die Erhebung eines bestimmten Antrags erforderlich sein.

 

Normenkette

ZPO §§ 254, 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; BetrAVG § 4a; BGB §§ 242, 328; GG Art. 9 Abs. 3; BetrAVG § 1b Abs. 1, § 4 Abs. 3, § 19 Abs. 1, § 30f Abs. 1; BetrVG § 75 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Entscheidung vom 24.06.2022; Aktenzeichen 6 Ca 129/21)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 24. Juni 2022 in der Sache 6 Ca 129/21 in Ziffer 1 hinsichtlich der Abweisung der ersten Stufe (Auskunft) der Stufenklage wie folgt abgeändert:

    Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu geben über die Höhe der betrieblichen Altersrente gemäß der neuen Versorgungsordnung 1995 (NVO 1995) iVm. dem H. Versorgungsplan 2015 (HVB) iVm. dem Tarifvertrag betriebliche Altersvorsorge vom 30. Juni 2020 (TV bAV), beginnend mit dem 1. Februar 2021.

  • II.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 24. Juni 2022 in der Sache 6 Ca 129/21 in Ziffer 1 hinsichtlich der Abweisung der zweiten Stufe (unbezifferter Zahlungsantrag) der Stufenklage sowie in Ziffer 2 (Kostenentscheidung) aufgehoben und der Rechtsstreit insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Arbeitsgericht Mannheim zurückverwiesen.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege einer Stufenklage um die Erteilung einer Auskunft sowie die Zahlung einer Betriebsrente.

Der am 0.0.1958 geborene Kläger war von September 1976 bis Ende März 2012 bei der Beklagten in W. beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen aus dem Bereich des ... und weltweit führender Hersteller bestimmter... . Das Arbeitsverhältnis endete infolge einer fristlosen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Dem Kläger wurde von der Beklagten auf Basis der im Betrieb in W. geltenden Betriebsvereinbarung "Neue Versorgungsordnung, Betriebsvereinbarung Nr. 10/95", abgeschlossen im Oktober 1995, (im Folgenden: NVO 1995, ABl. 72 ff) eine betriebliche Altersversorgung zugesagt.

Gemäß § 10 NVO 1995 behielt sich die Beklagte u.a. vor,

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