Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame betriebsdingte Kündigung bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur Sozialauswahl

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Unkenntnis der für die Sozialauswahl rechtserheblichen Tatsachen genügt der Arbeitnehmer zunächst seiner Darlegungslast, wenn er pauschal die soziale Auswahl beanstandet und die Arbeitgeberin auffordert, die Gründe mitzuteilen, die sie zu der Auswahl veranlasst haben; damit geht die Darlegungslast auf die Arbeitgeberin über, die daraufhin als Auskunftspflichtige und darlegungsbelastete Partei die Gründe darzulegen hat, die sie subjektiv zu der von ihr getroffenen Auswahl veranlasst haben.

2. Kommt die Arbeitgeberin der ihr im Rahmen ihrer Auskunftspflicht obliegenden Darlegungslast nicht oder nicht vollständig nach, führt dies beim Arbeitnehmer zu einer beschränkten Befreiung von der ihm nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegenden Darlegungs- und Beweislast; es bedarf dann insoweit keiner weiteren Darlegungen seitens des Arbeitnehmers.

3. Ergeben sich aus dem Sachvortrag der Arbeitgeberin Auswahlfehler, spricht eine von der Arbeitgeberin auszuräumende Vermutung dafür, dass auch das Auswahlergebnis objektiv fehlerhaft und die Kündigung daher sozialwidrig ist.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 02.08.2012; Aktenzeichen 2 Ca 3420/11)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.08.2012 Az.: 2 Ca 3420/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit der auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigungen gemäß Schreiben der Beklagten vom 9. September und 14. September 2011.

Die Beklagte produziert und vertreibt Spezialarmaturen. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten.

Der 54 Jahre alte, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.03.2002 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängern als Betriebsleiter Key Account beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde zuletzt durch einen im Jahre 2006 schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag (Bl. 3 bis 6 d. A.) geregelt. Gemäß § 7 dieses Arbeitsvertrages kann das Vertragsverhältnis mit einer Frist von drei Monaten zum Quartalsende von beiden Seiten gekündigt werden.

Der Kläger war zuletzt in der Funktion eines Vertriebs-Außendienstmitarbeiters tätig. Er hat seine Tätigkeit von einem Home-Office an seinem Wohnort ausgeübt. Im Vertriebsaußendienst waren ferner die Mitarbeiter C., J. und F. und -zumindest teilweise- Herr Sch. beschäftigt. Diesen Mitarbeitern wurde ebenfalls gekündigt. Im Falle des Herrn Sch. wurde die Kündigung allerdings nicht zum frühstmöglichen Zeitpunkt des Ablaufs der maßgeblichen Kündigungsfrist, sondern zum 29.02.2012 ausgesprochen. Keine Kündigung erhielt der Mitarbeiter K., der im Vertriebsinnendienst beschäftigt war - und nach allerdings bestrittener Behauptung der Beklagten ca. 2.000,-- € weniger verdiente als der Kläger.

Am 24.08.2011 fasste die Gesellschafterversammlung der Beklagten folgenden Beschluss (vgl. Bl. 44, 45 d. A.):

1. "Nachstehende Geschäftsbereiche der Betriebsstätte R. der Fa. M. GmbH werden geschlossen:

a. Konstruktion und Entwicklung

b. Service

c. Qualitätssicherung (Teilschließung und Neustrukturierung)

2. Der Bereich Vertrieb soll gestrafft und neu strukturiert werden.

Die Serviceleistungen sollen künftig über externe Dienstleister erbracht werden."

Mit Schreiben vom 09.09.2011, zugegangen beim Kläger am gleichen Tage, kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.12.2011. Mit weiterem Schreiben vom 14.09.2011, dem Kläger zugegangen am 16.09.2011, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut zum 31.12.2011.

Gegen diese Kündigungen hat der Kläger am 21.09.2011 vor dem Arbeitsgericht Koblenz Kündigungsschutzklage erhoben. Das Angebot bei der Beklagten als freier Handelsvertreter tätig zu werden, hat der Kläger aufgrund der ihm offerierten Vertragskonditionen nicht angenommen.

Mit weiterem Gesellschafterbeschluss vom 20.10.2011 beschloss die Beklagte, die Betriebsstätte R. mit den restlichen Geschäftsbereichen Produktion, Einkauf und Vertriebsinnendienst aufzulösen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.08.2012, Az.: 2 Ca 3420/11 (Bl. 105 ff. d. A.).

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 09.09.2011 und 14.09.2011 nicht aufgelöst wurde. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht -zusammengefasst- ausgeführt:

Die einheitlich begründeten streitgegenständlichen Kündigungen seien nicht durch betriebsbedingte Gründe i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt und daher n...

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